Wo ist die Gleichstellungspolitik?

Zeiten struktureller Veränderungen bieten für die Gleichstellung der Geschlechter Chancen, bergen aber auch Gefahren. Es besteht die Gefahr, dass traditionelle geschlechterhierarchische Strukturen des Universitätsbetriebes reproduziert und verfestigt werden. Dies würde dem Ziel einer Modernisierung der Universität entgegenlaufen. Gleichzeitig bieten uns die gegenwärtigen strukturellen Veränderungen aber auch die Chance, bewusst vielfältige neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Frauen und Männern zu erproben, die Wesentliches zur Sicherung und Verbesserung der Qualität in Forschung, Lehre und Verwaltung beitragen können.

VON ELISABETH MAURER

Zurzeit findet nicht nur an der Universität Zürich, sondern an den meisten schweizerischen und europäischen Universitäten ein grösserer Strukturwandel statt, dessen Prinzipienüberallähnlich sind. Im Zentrum stehen Veränderungen der staatlichen Steuerung der Universitäten: Es wird eine wirksamere Verwendung der durch die …ffentlichkeit zur Verfügung gestellten Mittel angestrebt, und von den Universitäten wird mehr wettbewerbsorientiertes Handeln erwartet. Gleichzeitig wird ihnen mehr Autonomie und Eigenverantwortungüberlassen.

 
Ein gutes Zusammenleben und Zusammenarbeiten der Geschlechter wirkt sich positiv auf die Qualität der universitären Leistung aus. Die Innovationskraft kann sich so besser entfalten.

Bisher wurde die Universität Zürich als kantonale Verwaltungseinheit geführt. Neu strebt der Kanton eine indirekte Steuerung der Universität an. Dadurch erhält die Universität mehr Führungskompetenzen im gesamtuniversitären Bereich, bei den Finanzen und in den Berufungsverfahren. Die kantonalen Behörden definieren ein aufgabenorientiertes Globalbudget und nehmen Rechenschaftsberichte ab. Das Globalbudget wird an pauschale Kosten- und Leistungsvorgaben gebunden. Rechenschaftsberichte und regelmässige Evaluationen der Forschung, der Lehre, der Verwaltung und der Dienstleistung sollen Leistungstransparenz gewährleisten. Dies bedingt den Einsatz und die Entwicklung neuer Führungs- und Kontrollinstrumente und eine Professionaliserung des universitären Managements.

Qualitätssicherung und -verbesserung

Ich greife nur ein Element heraus, das einerseits zentrale Bedeutung für das Gelingen des neuen Steuerungsmodells hat, andererseits auch aus gleichstellungspolitischer Sicht relevant ist: Es geht um die «Evaluation» als Instrument der Qualitätssicherung und -verbesserung. Es gibt folgendes zu klären: Wie wird der Leistungsauftrag definiert, welche Qualitätskriterien sollen gelten, wie werden Leistungskennzahlen errechnet, wie gehen inhaltsbezogene und qualitative Ziele in die Bewertung der Qualität von Forschung, Lehre und Dienstleistung ein? Es ist insbesondere unklar, wie im konkreten Alltag Transparenz und Mitsprache der Stände, des Lehrkörpers, des Verwaltungspersonals und der …ffentlichkeit bei der Entwicklung des Evaluationsprozesses und beim Aufbau der geplanten Reviewstelle gesichert werden.

Mit dem Ziel der Qualitätssicherung und -verbesserung eröffnet sich ein universitärer Gestaltungsspielraum, der auch aus gleichstellungspolitischer Sicht zu nutzen ist. Diese Frage stellt sich besonders brisant, weil die Bilanz nach zehn Jahren Frauenförderung zeigt, dass sich trotz grossem Einsatz und breitgefächerten Aktivitäten die Stellung der Frauen an den Universitäten kaum verbessert hat. Immer noch sind nur 6 Prozent in der Professorenschaft Frauen und im Mittelbau nicht mehr als etwa 20 Prozent. Dagegen machen die Studentinnen in vielen Fächern mehr als 50 Prozent aus. In den universitären und wissenschaftspolitischen Entscheidungsgremien arbeiten nach wie vor ausserordentlich wenige Frauen mit. Das ist an der Universität Zürich nicht anders als an anderen europäischen Universitäten. Was kann und muss also unternommen werden, dass dieÄnderung der staatlichen Steuerung der Universitäten zugunsten der Frauen ausgeht?

Gleichstellung als Qualitätskriterium

Die Gleichstellung von Frau und Mann und der Abbau von geschlechtsbezogenen unterschiedlichen Strukturen sind in den Reformprozess zu integrieren. Damit wird dem Gleichstellungsauftrag ein eigener Wert beigemessen. Eine neue Qualität im Zusammenleben und Zusammenarbeiten der Geschlechter hat Einfluss auf die Qualität der universitären Leistungen. Das Potential und die Innovationskraft der Frauen kann sich so besser entfalten. Qualität und Leistung einer Universität sind daran zu messen, welche neuen Formen der Zusammenarbeit zwischen den Geschlechtern entwickelt und welche Fortschritte in der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern nachgewiesen werden. Für die Evaluation der Forschung, der Lehre, der Verwaltung und der Dienstleistung müssen demnach Kriterien definiert werden, die den Fortschritt des Gleichstellungsprozesses konkret erfassen. An den Universitäten Dortmund und Bielefeld und an der FU Berlin laufen zurzeit entsprechende Pilotprojekte, die den Gleichstellungsauftrag konkret in die neuen Review- und Evaluationssysteme, in die Mittelverteilung im Rahmen des Globalhaushaltes und in die neuen Instrumente des Hochschulmanagements integrieren (vgl. Roloff; 1996)1.

Forderungen bezüglich Gleichstellungsprozess

Erstens sollten die kantonalen Behörden und die universitären Leitungsgremien die politischen Weichen stellen, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern und der Abbau geschlechtsdifferenter Strukturen ein fester Bestandteil der laufenden Reformen an der Universität Zürich werden. Unter diesem Gesichtspunkt ist es besonders stossend, dass der zürcherische Regierungsrat gegen den einhelligen Wunsch der Universitätsangehörigen im neuen Universitätsgesetz auf den Gleichstellungsartikel verzichtet hat. Gerade wenn der Kanton Zürich der Universität mehr Autonomie und Eigenverantwortungübertragen und die Universität vermehrt indirekt steuern will, obliegt ihm die Aufgabe, die Rahmenbedingungen klar und explizit zu definieren. Der Gleichstellungsartikel ist als handlungsorientierte Aufforderung zu verstehen, die Frauen bei allen wichtigen universitären Entscheidungen einzubeziehen.

Zweitens müssten Frauen in allen Gremien und Lenkungsgruppen, die sich mit Hochschulreform befassen, aktiv mitarbeiten. Der Ausbau der «Frauen-Infrastruktur» hinkt an der Universität Zürich im Vergleich zu anderen Ländern weit hinterher. Die grösste schweizerische Universität hat erst im Januar 1996 eine 50-Prozent-Stelle für das Amt der Gleichstellungsbeauftragten eingerichtet1. Es besteht noch kein schnell reaktionsfähiges Frauennetz. Damit steht die Ausrichtung der Gleichstellungspolitik an der Universität Zürich vor einem Dilemma: Sollen die knappen personellen Ressourcen jetzt vorrangig für den Reformprozess verwendet oder für den Aufbau der Frauen-Infrastruktur eingesetzt werden, damit hochschulpolitisch engagierte Frauen wirksam, mit der nötigen Professionalität und mit routinierter Schnelligkeit in die laufenden hochschulpolitischen Diskussionen eingreifen können? Eines bedingt das andere, jedes einzelne ist mit den bestehenden Ressourcen nur andeutungsweise zu realisieren. Entsprechend ist es notwendig, dass alle Gremien und beide Geschlechter aktiv daran mitarbeiten, dass die Universität Zürich zu einer modernen, gleichstellungspolitisch zukunftsweisenden qualitativ hochstehenden Universität wird.

Dadurch kann erstens der verfassungsmässige Auftrag der Gleichstellung von Mann und Frau umgesetzt werden. Zweitens können die vorhandenen Ressourcen der Frauen an Wissen, Erfahrungen und Innovationsgeist im Wissenschaftsbetrieb besser genutzt werden. Und drittens wird die anhaltende Ressourcenverschwendung, die sich zum Beispiel in einem unverhältnismässig hohen Studien- und Laufbahnabbruch von Frauenäussert, gestoppt werden. Neue innovative Modelle der Geschlechterkultur innerhalb des Wissenschaftbetriebes und der Verwaltung können so entwickelt und in ihrer Wirkung auf eine Qualitätssicherung und -verbesserung der Forschung, der Lehre und der Dienstleistung der Universität erprobt werden.


Literatur

1 Roloff, Christine (1996): Hochschulstrukturen und Frauenpolitik. In: Zeitschrift für Frauenforschung, 3/96.


Elisabeth Maurer (maurer@zuv.unizh.ch)ist Gleichstellungsbeauftragte der Universität Zürich.


Frauen und Männer, die sich am Aufbau eines Netzwerkes zur Förderung des Gleichstellungsprozesses an der Universität Zürich beteiligen möchten (WWW-Seite der Frauenstelle), nehmen bitte mit der Autorin Kontakt auf: Rämistr. 74, 8001 Zürich, oder E-mail: maurer@zuv.unizh.ch


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unipressedienst – Pressestelle der Universität Zürich
Nicolas Jene (
upd@zuv.unizh.ch)
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Last update: 09.07.97