My home is my castle

Im Erwerbsleben wird oft abso- lute Flexibilität gefordert, auch was das Wohnen betrifft. Wie aber steht es um die Umzugsmobilität älterer Menschen? Resultate einer Studie für den Raum Zürich.

VON MICHAEL LANDOLT

Wenn wir an unsere alten Eltern oder Grosseltern denken, so vergegenwärtigen wir uns wohl oft auch das Haus oder die Wohnung, in der sie leben oder gelebt haben. Die Räume, die Möbel, die Umgebung, sie gehören irgendwie zu ihnen. Es ist das Zuhause ihrer Erinnerungen, oft gleichzeitig verknüpft mit unseren eigenen Kindheitserinnerungen. Dass sie dort wohnen, wo sie immer schon wohnten, ist selbstverständlich, ist gut für sie und gut für uns. Wenn es einmal nicht mehr so ist, hat sich meist etwas Schlimmes ereignet, sei es, dass ein Ehepartner gestorben ist oder dass sie eine schwere Krankheit zur Aufgabe des Haushaltes gezwungen hat.

Doch die Zeiten ändern sich. Immer mehr Menschen werden immer älter, und die Lebensphase, die wir Alter nennen, wird immer länger. Nach der Pensionierung folgen nicht selten zwanzig oder dreissig Jahre Ruhestand bei guter Gesundheit und in oft guter finanzieller Lage. Es ist eine Zeit, in der man weder an einen Arbeitsplatz noch an Kinder gebunden ist; man hat Raum, um neue Pläne in Angriff zu nehmen. Werden die zukünftigen Rentner umzugsfreudiger oder noch sesshafter sein? Und welche Auswirkungen haben ihre Umzugsentscheide auf die demographische Struktur im Raum Zürich? Gründe genug, die Umzugsmobilität älterer Menschen genauer unter die Lupe zu nehmen.

Umzugsmuster

Als theoretisches Gerüst zur Erklärung von Umzugsmustern dient der Lebenszyklus-Ansatz. In ihm unterscheidet man den Berufszyklus (Ausbildungsphase, Berufsphase und Ruhestand) und den Familienzyklus (Kindheit, Singlephase, Familienphase und Alter). Der Übertritt in eine neue Lebensphase hat zahlreiche Verhaltensänderungen zur Folge, die untereinander in Beziehung stehen.

Abbildung 1:
Umzugsmobilität nach Jahrgängen

 
Datengrundlage: Volkszählung 1990, Statistisches Amt des Kantons Zürich Lesebeispiel: Etwa 14% der 1985 60-Jährigen sind in den darauffolgenden fünf Jahren mindestens einmal umgezogen.  
Abbildung 2:
Entwicklung der Umzugsmobilität in der zweiten Lebenshälfte 1970

 
Datengrundlage: Volkszählungen 1970, 1980 und 1990, Statistisches Amt des Kantons Zürich  

In die Altersphase einer Person fallen in der Regel im Berufszyklus die Pensionierung, im Familienzyklus der Auszug des letzten Kindes und später der Tod
des Ehepartners und der Verlust der eigenen Autonomie. An den Übergängen zwischen den verschiedenen Lebensphasen werden empirisch erwiesenermassen die meisten Wohnungswechsel vollzogen.

Sowohl der Berufs- als auch der Familienzyklus lassen sich in einem Anziehungs- und Abstossungsmechanismus zwischen Zentrum und Peripherie räumlich abbilden. Dabei zeigt sich, dass sowohl das Ausmass als auch die Richtung der Umzüge in beträchtlichem Masse lebensphasenspezifisch ist.

Mit dem Auszug des letzten Kindes und der Pensionierung wird ein Nachdenken über die Wohnungsgrösse und die Wohnlage notwendig. Aus verschiedenen Gründen wird im Alter aber gleichzeitig die Wohnung als Zuhause wichtiger. Die Push- und Pullfaktoren für einen Umzug dürften dabei für Frischpensionierte und Hochbetagte nicht dieselben sein. Es müssen deshalb für die Untersuchung der Umzugsmobilität mindestens zwei Phasen unterschieden werden: Umzüge, die in der Zeit der Pensionierung vollzogen werden, sogenannte Ruhestandumzüge, und Umzüge im Hochbetagtenalter, hier Netzwerkumzüge genannt.

Lebensphasenspezifische Umzugsmobilität

Die lebensphasenspezifische Umzugsmobilität lässt sich am besten durch eine Mobilitätskurve darstellen. Als Grundlage dienen die Volkszählungsdaten des Kantons Zürich von 1990. Die Frage nach dem Wohnort vor fünf Jahren liefert dabei die Grundvariable.

Die Lebensphase höchster Umzugsmobilität liegt zwischen 20 und 35 Jahren, danach fällt die Mobilitätskurve und bleibt zwischen 40 und 80 Jahren, mit Ausnahme der Zeit um die Pensionierung, nahezu konstant auf tiefem Niveau. Erst im Hochbetagtenalter steigt die Umzugsmobilität wieder.

26 252 über 60-Jährige, das sind 12,2% der EinwohnerInnen dieser Altersgruppe im Kanton Zürich, haben im Zeitraum zwischen 1985 und 1990 ihre Wohnung gewechselt. Obwohl die über 60-Jährigen 20% der Bevölkerung des Kantons stellen, liegt ihr Anteil an den Wanderungsbewegungen bei nur 7,6%. Beachtet man, dass die über 80-Jährigen mit 1,5% Wanderungsbeteiligung (bei einem Bevölkerungsanteil von 1,7% im Kanton Zürich) über eine durchschnittliche Umzugsmobilität verfügen, fällt die Sesshaftigkeit der 60- bis 79-Jährigen noch stärker ins Auge.

Nur wenige ältere Menschen können sich schon im frühen Rentenalter zu einem Umzug entschliessen. Ist jemand in der Zeit nach der Pensionierung nicht umgezogen, so wartet er in der Regel, bis ein Netzwerkumzug nötig wird.

Wer zieht warum um?

Innerkommunale Wohnungswechsel bilden über die gesamte Altersphase den Hauptteil der Umzüge. Zwischen 60 und 69 Jahren ist der Anteil grossräumiger Wanderungen relativ gesehen am höchsten. Weiter zeigte sich, dass Frauen nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch prozentual häufiger umziehen als Männer und geschiedene, getrennte und ledige Personen umzugsmobiler sind als verheiratete Personen.

Betrachtet man die Staatszugehörigkeit, so lässt sich erkennen, dass die Umzugsmobilität der nach der Pensionierung hier bleibenden Ausländer zunächst höher ist, als jene ihrer Schweizer Altersgenossen, dass sie sich aber nach dem 80. Altersjahr derjenigen der Schweizer angleicht. Ferner zeigt sich, dass ältere Personen mit geringer Schulbildung häufiger, früher und kleinräumiger umziehen als ältere Personen mit hohem Bildungsstand.

Da Qualität der Ausbildung und Einkommen beziehungsweise Vermögen stark korrelieren, kann auch davon ausgegangen werden, dass Personen in schlechter finanzieller Situation im Alter häufiger umziehen.

Die Daten der Volkszählung von 1990 waren für eine weitergehende Untersuchung zur Einstellung älterer Menschen bezüglich eines Umzugs und zu den Wanderungsmotiven jedoch zu wenig detailliert. Eine Umfrage an der Senioren-Universität im April 1998 zum Thema Wohnen und Umziehen im Alter sollte weiterhelfen. 365 Vorlesungsbesucher beteiligten sich daran.

Folgende Verallgemeinerungen auf die Zielgruppe der selbstständig wohnenden über 60-Jährigen im Raum Zürich lassen sich vertreten (1):

Durch die geringe Umzugsmobilität in der zweiten Lebenshälfte ergibt sich bei Gebäuden, die nach dem 2. Weltkrieg entstanden sind, ein positiver Zusammenhang zwischen dem Gebäudealter und dem Alter der Bewohner. Je älter das Gebäude desto älter sind in der Regel seine Bewohner. Besitzer von Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen wohnen wesentlich länger an einem Ort, und sie halten ihre Wohnung für altersgerechter als Bewohner von Mehrfamilienhäusern und Mieter. Umlandbewohner halten ihre Wohnung zumindest nicht für weniger geeignet als Kernstadtbewohner. Die älteren Menschen stehen einem Umzug zumeist skeptisch gegenüber. Die Mehrheit möchte am liebsten überhaupt nie mehr umziehen. Diese starke Bindung an den Wohnort zeigt sich auch dadurch, dass innerkommunale Umzüge mit steigendem Alter häufiger werden.

Eine Gegenüberstellung von Personen, die zwischen 60 und 69 Jahren umgezogen sind (Mobile), und solchen, die in diesem Zeitraum sesshaft blieben (Sesshafte), zeigt, dass der Anteil an umziehenden Paaren zwischen 60 und 69 Jahren vergleichsweise hoch ist. Die Mobilen sind schon vor der Pensionierung tendenziell häufiger umgezogen, und Umlandbewohner ziehen zumindest nicht häufiger um als Kernstadtbewohner. Weiter lässt sich erkennen, dass die Mobilen in den altersgerechteren Wohnungen wohnen. Ihnen stehen aber weniger Zimmer zur Verfügung, und sie sind seltener Erstbezüger ihrer Wohnung als die Sesshaften.

Gesamthaft gesehen konnten vier Typen von Ruhestandumzügen und zwei Typen von Netzwerkumzügen differenziert werden:

Beim Ruhestandumzug:

Beim Netzwerkumzug:

Die relativen Anteile des jeweiligen Umzugtypus konnten durch die Stichprobe nicht adäquat erfasst werden. Ein weiterer Teil der Umzüge war nicht klar
als lebensphasenspezifisch einzuordnen.

Veränderung der Umzugsmobilität über die Zeit?

Mit Hilfe von Volkszählungsdaten aus den Jahren 1970, 1980 und 1990 kann ein Trend der Umzugsmobilität über die Jahre festgestellt werden. Deutlich wird dabei, wie konstant grundsätzlich das Umzugsmuster verschiedener Jahrgänge über die Jahrzehnte bleibt.

Trotzdem kann von einem leichten Rückgang der Umzugsmobilität im frühen Pensionsalter und einer Verzögerung des Netzwerkumzugs gesprochen werden. Eine weitergehende Analyse der Umzugsdistanzen ergibt dabei, dass der Rückgang der Umzugsmobilität auf einen Rückgang bei den innerkommunalen Wohnungswechseln zurückzuführen ist. Die grossräumigen Wanderungen von Frischpensionierten sind stabil. Die Phase von der Wohnstandortkonsolidierung bis zum Netzwerkumzug wird tendenziell länger, und die Notwendigkeit oder die Bereitschaft zu einem Umzug wird kleiner.

Folgen für den Raum Zürich

Die Beeinflussung des demographischen Aufbaus der Gemeinden durch die Alterswanderung ist, wie die Volkszählungsanalyse zeigte, marginal. Die Gemeindebevölkerungen altern durch die Alterung an Ort. Durch die hohe und tendenziell noch steigende Sesshaftigkeit zwischen dem 40. und 80. Lebensjahr lässt sich mit grosser Sicherheit sagen, wo die ältere Bevölkerung in einem oder zwei Jahrzehnten leben wird.

Auch die heute im Umland der Stadt Zürich wohnende Bevölkerung wird nach dem Auszug der Kinder und nach der Pensionierung dort wohnen bleiben wollen, wo sie heute schon wohnt. Dies wird erstens den Wohnflächenverbrauch dieser Altersgruppe weiter ansteigen lassen und zweitens zu einer Alterung in die Fläche führen. Mit letzterem ist gemeint, dass sich die Alterung der Bevölkerung von den Zentren in ihr Umland verlagern wird: grossräumig aus der Kernstadt in den inneren Agglomerationsring und kleinräumig von vielen Ortskernen in die Siedlungen am Rande dieser Ortschaften.

In rasch gebauten Quartieren der 60-er, 70-er und 80-er Jahre kommt es dabei für eine Übergangszeit zu sehr hohen Pensioniertenanteilen. Darauf hat die heutige Planung zu reagieren. Konzepte zur besseren Versorgung und Integration der älteren Bevölkerung in den Vororten Zürichs sind zu finden.

Umziehen, wenn es noch geht

Es ist sinnvoll, zwischen Ruhestandumzügen und Netzwerkumzügen zu unterscheiden. Für erstere sind neben Pushfaktoren in starkem Masse auch Pullfaktoren (zum Beispiel Natur, Klima) bedeutsam. Netzwerksumzüge werden dagegen praktisch immer durch massive Pushfaktoren (zum Beispiel Krankheit) ausgelöst.

Der Ruhestandumzug hat den Charakter einer selbstbestimmten Möglichkeit, der Netzwerkumzug den einer fremdbestimmten Notwendigkeit, deshalb ist letzterer auch häufiger. Daraus ergeben sich die unterschiedlichen Einstellungen zu den beiden Umzugsarten.

Allgemein wird es mit zunehmendem Alter schwieriger, sich nochmals eine neue Geographie zu machen, sich also nochmals neu zu orientieren und neue Beziehungen zu knüpfen. Ein Umzug macht aber solch eine neue persönliche Geographie notwendig. Er wird wegen der damit verbundenen Unsicherheit oft so lange wie möglich hinausgeschoben und erfolgt dann zu einem Zeitpunkt, da diese Neuorientierung kaum mehr möglich ist.

Als Lösung würden sich frühzeitige und kleinräumige Umzüge in eine teilbetreute Alterswohnung oder in die Nähe von Angehörigen anbieten. Solche Wanderungen zum Zeitpunkt noch hinreichender Rüstigkeit würden den heutigen Zwangscharakter des Netzwerkumzugs und die Verbindung mit der vollständigen Aufgabe der selbständigen Haushaltsführung aufheben. Doch gerade diese kleinräumigen Umzüge haben in den letzten zwei Jahrzehnten abgenommen. Hier müsste mit Anreizen und Information Gegensteuer gegeben werden.


FUSSNOTE

1) Zur Analyse wurden Chi-Quadrat-Tests und Korrelationsanalysen eingesetzt und die Ergebnisse mit den Resultaten aus der Volkszählung und mit vorhandenen anderen Untersuchungen verglichen.


Michael Landolt ist stud. geogr. Dieser Text ist eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Diplomarbeit, die der Autor im März 1999 am Geographischen Institut der Universiät Zürich eingereicht hat.

unipressedienstunimagazin Nr. 3/97


unipressedienst – Pressestelle der Universität Zürich
Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
Last update: 17.04.99