Ruhestand unter spanischer Sonne

Immer mehr Rentnerinnen und Rentner verlegen ihren Wohnsitz Richtung Süden, wo sie neben dem angenehmeren Klima auch mehr für ihr Geld bekommen. An der Costa Blanca und inanderen klimatisch bevorzugten Regionen Südeuropas lassen sich lang ersehnte Träume vom eigenen Haus an der Sonne verwirklichen. Zum relativ neuen gesellschaftlichen Phänomen der Internationalen Altersmigration (IAM) liegt nun erstmals eine qualitative Untersuchung aus der Schweiz vor.

VON ANDREAS HUBER

In der südostspanischen Gemeinde Rojales – der Gemeinde, zu der die Urbanisation Ciudad Quesada gehört – dürften die AusländerInnen bald einmal die Mehrheit ausmachen. Die Siedlung Ciudad Quesada wurde vor fünfundzwanzig Jahren gegründet und zählt heute bereits über fünftausend Eigenheime.

Der Traum vom «typischen spanischen Lebensstil» können sich heute immer mehr Schweizer RentnerInnen leisten.

Die seit den siebziger Jahren an der Costa Blanca, der Costa del Sol und der Costa Calida entstehenden Urbanisationen, die überwiegend von Leuten bewohnt werden, die bereits über sechzig Jahre alt sind und aus verschiedenen, hauptsächlich mittel- und nordeuropäischen Ländern stammen, können als Prototyp einer zukünftigen Gesellschaft bezeichnet werden: ein Europa im kleinen oder, um es etwas plakativer auszudrücken: eine «multikulturelle Rentner-Internationale» an der spanischen Küste.

Wobei man sich sicher nicht ein Europa vorstellen muss, in welchem die Menschen viele Sprachen perfekt beherrschen, aber allenfalls ein Europa, in welchem die Menschen ihre je eigene Sprache sprechen und die der anderen zumindest ansatzweise verstehen. Aber darf man von der Utopie einer mehrsprachigen Rentnergesellschaft mehr erwarten?

Neuer Forschungsbereich IAM

Die Einwanderung gilt als die in unseren Breitengraden immer noch dominante und auch forschungspolitisch relevante Wanderungsform. Das Interesse für das Auswanderungsphänomen hingegen hält sich in engen Grenzen. Die meisten MigrationsspezialistInnen gehen immer noch davon aus, dass die einzig relevante Form von Migration jene ist, die durch die Suche nach Arbeit oder höherem Einkommen motiviert sei.

In den letzten Jahren wird jedoch insbesondere in Nordamerika, zunehmend jedoch auch in Europa, das neue Phänomen der IAM von MigrationsforscherInnen und Bevölkerungsgeographen wahrgenommen. Während es einige Studien über die Altersmigration auf der nationalen Stufe gibt, sind noch praktisch keine Untersuchungen über internationale Bewegungen älterer Menschen zu Regionen wie Spanien, Portugal, Südfrankreich sowie Piemont und Toskana durchgeführt worden. Es ist aber davon auszugehen, dass die bisher kaum erforschte Altersmigration von zunehmender Bedeutung sowohl für den demographischen Wandel als auch für die Planung und Politik sein wird.

In der Regel sind es kaum ökonomische Zwänge, die die Seniorinnen und Senioren zum Auswandern bewegen (obwohl auch diese nicht zu unterschätzen sind). Die IAM hängt mit einer Vielzahl gesellschaftlicher Veränderungen zusammen, zentral sicher einmal mit dem zunehmenden Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung.

Die Formel «alt gleich arm» ist aber heute auch nicht mehr gültig. So ist beispielsweise das durchschnittliche Vermögen der RentnerInnen in der Stadt Zürich mehr als doppelt so hoch wie bei der Gesamtheit der Steuerpflichtigen. Weitere Faktoren, die einen Einfluss auf die IAM haben dürften, sind veränderte Konsummuster, eine wachsende Mobilität aufgrund sinkender Flugtarife und nicht zuletzt ein verändertes Selbstbild vieler älterer Leute. Der Wechsel vom Berufsleben in den Ruhestand wird von vielen heutzutage als Chance angesehen, Alternativen zur Arbeit zu suchen und das Rentenalter auf aktive Weise zu gestalten.

Wie bei jeder Migrationsform sind es auch bei der IAM aber hauptsächlich Träume und Sehnsüchte von einem anderen, besseren Leben, die die RentnerInnen zum Auswandern bewegen: Träume vom eigenen Haus mit Swimmingpool und Palmengarten, von mediterranem Klima, von «typisch spanischem Lebensstil» usw. Diese Träume können dank im Vergleich zur Schweiz noch immer günstigerer Boden- und Immobilienpreise an der Costa Blanca von einer zunehmenden Anzahl älterer Personen verwirklicht werden.

Schönste Ferienort Europas

Die Schweizer gehörten zu den Ersten, die sich in Ciudad Quesada – laut Werbeprospekt im «besten und schönsten Ferienort von Europa» – angesiedelt haben. Früher waren rund achtzig Prozent der Häuser in Ciudad Quesada von Schweizern bewohnt. Man sprach vom Schweizerdorf. Heute dürften immer noch rund ein Fünftel bis ein Viertel der fünftausend Häuser in Schweizer Besitz sein. Den Rest teilen sich hauptsächlich Deutsche, Engländer, Skandinavier, Franzosen und seit jüngster Zeit auch Russen, wobei letztere in der Regel noch nicht im Rentenalter sind.

In den achtziger Jahren hatte die «Flucht» der Senioren aus dem kühlen Norden ihren ersten Höhepunkt erreicht. Damals war die Rente in Spanien bis zu fünfmal so viel wert wie in den mittel- und nordeuropäischen Herkunftsländern. Die Nachfrage nach Häusern war grösser als das tatsächliche Angebot. Das Leben ist in Spanien auch heute noch billiger, und dank tiefem Pesetenkurs und hoch bewertetem Schweizer Franken zieht auch der Verkauf von Häusern wieder an.

Gute Gründe auszuwandern

Die Auswanderungsgründe können grob in drei Kategorien unterteilt werden. Die erste Kategorie umfasst die «objektiven Gegebenheiten», die die Costa Blanca den Schweizer RentnerInnen bieten kann. Dazu gehören das Klima, die Landschaft, die tieferen Lebenskosten, die bereits etablierten europäischen Gemeinschaften in dieser Region, die Möglichkeit von Freizeitaktivitäten, die geographische Nähe zwischen der Schweiz und der Costa Blanca – kurz: alles, was den Zielort attraktiv macht. Die zweite Kategorie von Gründen zielt auf die «persönlichen Bedingungen» der einwandernden Personen ab; dazu gehören etwa gesundheitliche Überlegungen oder die Attraktivität der «lateinischen Kultur» beziehungsweise des spanischen «way of life». Die dritte Kategorie von Gründen schliesslich umfasst die «vorgängig in Spanien gemachten Erfahrungen».

Der wirtschaftliche Aspekt ist für viele der befragten Personen ein entscheidender Grund gewesen, die Schweiz zugunsten eines Landes zu verlassen, in dem es sich mit gleich viel Geld bedeutend besser leben lässt als in der Schweiz. Viele konnten sich mit ihrem Ersparten oder mit dem Pensionskassenguthaben ein eigenes Haus kaufen und kommen jetzt teilweise nur mit der Minimalrente sehr gut durch. Doch in der Regel wird das Preisgefälle nur selten als Hauptgrund für das Emigrieren angegeben. Als Wirtschaftsflüchtling würde sich niemand bezeichnen.

An der Costa Blanca macht ein subtropisches Klima das Leben auch in der kälteren Jahreszeit angenehm. Das freundliche Klima und damit die Möglichkeit, nicht nur im Sommer, sondern auch während des Winters viel im Freien zu sein, ist von fast allen Befragten als wichtiger Grund genannt worden, weshalb sie sich gerade an der Costa Blanca nach einem Haus umgeschaut haben. Viele wiesen insbesondere auch auf dessen gesundheitlich wohltuende Wirkung hin.

Wer wandert aus?

Die Biographien der interviewten Personen entsprechen kaum dem üblichen Bild der Generation der über 60-Jährigen. Dieses geht davon aus, dass Leute dieser Generation nach ihrer Jugendzeit in der Regel am selben Ort wohnten und oft auch «das ganze Leben» am selben Ort gearbeitet haben.

Eine gewisse Mobilität bezüglich Wohn- und Arbeitsort, die auch nach den «bewegten Jugendjahren» anhält, scheint demnach eine wesentliche Voraussetzung zum Auswandern zu sein. Man kann also hypothetisch sagen, dass Leute, die in ihrem Leben schon mehrmals Wohn- und/oder Arbeitsort gewechselt haben, eher bereit zu sein scheinen, im Pensionsalter ihren Wohnsitz nach Spanien oder anderswohin zu verlegen. Auswanderungswillige sind demnach in der Regel Leute, die initiativer, risikofreudiger und flexibler als der Durchschnitt sind.

Im Gesamturteil kommt die neue Heimat bei den Emigrierten bedeutend besser weg als die alte. Ob dieses Urteil allerdings Konsequenz einer aktiven Aneignung der neuen Umwelt durch die Subjekte ist oder lediglich Folge pragmatischer Überlegungen, also des Abwägens von Vor- und Nachteilen, bleibe dahingestellt. Tatsache ist, dass das Urteil der befragten Personen über die Schweiz eher nüchtern und prosaisch ausfällt und die neue Heimat durchweg positiv bewertet wird, obwohl auch nicht unbedingt von einer innigen Heimatliebe zum neuen Ort gesprochen werden kann.


LITERATUR

Russell King, Anthony M. Warnes und Allan M. Williams: International retirement migration in Europe. In: International Journal of Population Geography, 4:91-111, 1998.

Allan M. Williams, Russell King u. Tony Warnes: A place in the sun: international retirement migration from northern to southern Europe. In: European Urban and Regional Studies, Vol. 4, 2:115–134, 1997.

Andreas Huber: Heimat in der Postmoderne. Ferne Heimat - zweites Glück? Sechs Porträts von Schweizer Rentnerinnen und Rentnern an der Costa Blanca. Seismo Verlag, Zürich 1999.


Dr. Andreas Huber war bis Ende 1998 Assistent am Geografischen Institut der Universität Zürich.

unipressedienstunimagazin Nr. 3/97


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Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
Last update: 17.04.99