Magazin der Universit?t Z?rich Nr. 2/96

Das Objektiv zwischen meiner und Deiner Welt

TEXT UND BILDER VON OSWALD ITEN


Touristenburg versus Slum in der Dominikanischen Republik.


Die «Steinzeit» fürs Album: Papua mit Ahnen-Mumie in Irian Jaya (Indonesien).


Wer könnte schon der Plastik-Puppe widerstehen? Huaovani, Amazonasbecken, Ecuador.



Lacandonen-Kinder spielen «Flugzeug» in Chiapas, Mexico.


Papua-Guerillas der OPM kämpfen gegen die Indonesier in Irian Jaya: Sieg für die «Steinzeit»?


Die Missionarin und ihr Indianer: Rachel Saint und ein «bekehrter» Huaovani (Auca) in Ecuador.


Apatani-Ältester im bengalischen Photo-Studio in Ziro (Arunachal Pradesh, Nordostindien).


Äthiopische Falascha-Kinder in israelischer Container-Siedlung: Gelobtes Land.

Ich mag es nicht besonders, abgelichtet zu werden. Weshalb eigentlich nicht? Ich reise doch selber mit der Kamera durch die Welt. Du und ich, wir reagieren beide verschieden und nicht immer rational vor und hinter dem Objektiv. Ich erinnere mich an Chankin, den alten Weisen der Lacandonen im Urwald von Chiapas; er schien den Photoapparat nicht einmal wahrzunehmen und fuhr unirritiert in seinem Opferritual fort. Er fühlte sich nicht gestört. Und ich erinnere mich an jenen Polizisten in San Salvador, der gerade auf Demonstranten zielte, aber sein Gewehr drehte, als er meine Linse sah. Er fühlte sich ertappt.

Vor der Kamera befürchtet der eine den Diebstahl seiner Seele, die andere suhlt sich in Eitelkeit. Ein Gefühl für die Situation zu entwickeln, stünde jedem Photographen gut an. Dieses Abtasten verläuft gegenseitig und kann Augenblicke oder Tage dauern. Wer mit der Kamera voraus durch die Tür stürmt, als knipsendes Überfallkommando, zertrampelt viel. Dies sind gar hehre Einsichten und jener Photograph, der sie immer einhielte, werfe den ersten Stein. Lohn des Aufwandes sind manchmal tiefe Einblicke: Wie in einer Zeitlupenaufnahme kann eine Person vor der Linse einige ihrer Charaktereigenschaften offenbaren, vielleicht mehr als während eines stundenlangen Interviews.

Wenn nur die Apparate nicht so gravierend auf der Wirbelsäule lasteten oder wie eine Barriere den Zugang zum Moment verschlössen! Wie beneide ich jene unbeschwert von Photoausrüstung reisenden Zeitgenossen, die den unmittelbaren Austausch zu Menschen anderer Kulturen geniessen oder sie vielleicht mittels Bleistift und Zeichenblock an der Entstehung eines Bildes teilhaben lassen. Es bleibt ein Rätsel, wie manche Reisende sich den augenblicklichen Genuss durch die Manie des Knipsens verbauen. Oft reduziert sich der einzige Kontakt zum touristischen Objekt auf das Feilschen und Arrangieren rund um ein Bild. Erst zu Hause, bei der Präsentation des papiernen (oder elektronisch registrierten) Ergebnisses lebt nachträglich irgendein Erlebnis auf. Ganz nach dem Motto: Unterwegs schiessen, daheim geniessen.

Egal, wieviel arrangiert worden ist, dem Resultat kommt Beweiskraft für die durchgestandenen Abenteuer zu. Erst recht stimmt dies für die kommerzielle Ausbeutung der Photographie. Eine als Portfolio über den angeblich ersten Kontakt zu einem «Stamm von Steinzeitmenschen» aufgezogene Reportage findet alleweil ein Vielfaches an zahlenden Abnehmern als eine ungeschminkte Darstellung des kulturellen Niedergangs in Neuguinea. Eine der in dieser Hinsicht denkwürdigsten Episoden stellen die Tasaday-Menschen im philippinischen Mindanao dar, die es 1972 auf die Titelseite des «National Geographic Magazines» verschlug, indem sie als ein verlorener Stamm von 21 steinzeitlichen Höhlenmenschen ausgegeben wurden. Ihr angeblicher Felsenwohnsitz lag zwar nur drei Stunden Fussmarsch vom nächsten Dorf und vierzehn Stunden vom nächsten Flughafen entfernt, doch war die Vorstellung von friedfertigen Steinzeitlern von Rousseauschem Zuschnitt zu schön, als dass im Zeitalter der Mondflüge und des Dschungelkrieges in Vietnam kritische Hinweise wahrgenommen worden wären. Nach Aufdeckung des Schwindels, fünfzehn Jahre später, war der Fall dem renommierten amerikanischen Magazin selbstverständlich keine Zeile wert. Genauso wie der physische und kulturelle Genozid an den Nuba im Sudan heute keiner deutschen Illustrierten mehr eine Story hergibt, nachdem sie zwanzig Jahre zuvor als körperbemalte Ästheten und als kampfsporttreibende Hünen durch sämtliche Gazetten geschleift worden waren.

Die elektronische Bildbearbeitung eröffnet ganz neue Möglichkeiten zur manipulierten Illusion. Scheinbar harmlos wurde ich erstmals vor Jahren damit konfrontiert, als ein gutmeinender Kollege mit seinem Scanner einem von mir photographierten Indianer eine Feder aufs Haupt setzte. Mittlerweile haben sich die Möglichkeiten vervielfacht, und sie werden auch skrupellos eingesetzt, selbst zur verdrehten oder erfundenen Geschichtsdarstellung wie in den Filmen von Oliver Stoneüber JFK und Nixon. Die Photographie ist endgültig dabei, jede Beweiskraft zu verlieren und zur beliebigen Unterhaltung zu verkommen. Statt beschwerlich einen Augenschein vorzunehmen, könnte ich schon heute ebensogut am Schreibtisch das Produkt zusammensetzen, und zwar wie es Euch beliebt.


Dr. oec. publ. Oswald Iten, freier Journalist und Photograph in Unterägeri, ist Autor der im NZZ-Verlag erschienenen Reportagenbände über ethnische und kulturelle Minderheiten «Zwischen allen Welten» und «Keine Gnade für die Indianer».


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Last update: 27.6.1996