Magazin der Universit?t Z?rich Nr. 2/96

Allah an der Limmat

VON ERNST HUNZIKER

Imam Nizam Fakhouri (links) erteilt Koranlektionen im Islamischen Zentrum an der Militärstrasse, die ein Dolmetscher (rechts) ins Deutsche übersetzt.



An einem Sonntagnachmittag im Februar: Auf einem Teppich sitzt ein jugendlich wirkender Mann mit dunklem Vollbart, leuchtend weissem Turban, knöchellangem Umhang und rezitiert Koranverse. Er intoniert sie in wohlklingender hocharabischer Rede und betont ihre Gültigkeit für alle Ewigkeit. An der Wand hinter dem Imam steht eine Qibla aus Holz, die den Gläubigen beim Gebet die Richtung nach Mekka weist. Die Wände zieren Kalligraphien von Koranversen und Fotografien, die Pilger zeigen, welche die Kaaba in Mekka, das grösste Heiligtum der Muslime, umrunden. Es weht ein Hauch Orient durch diesen Raum. Man könnte sich im Nahen Osten wähnen, sässe neben dem Imam nicht ein Dolmetscher, der alles ins Deutscheübersetzt. Ich bin Gast in der Moschee des Islamischen Zentrums an der Militärstrasse im Zürcher Stadtkreis 4. Zur Koranlektion sind etwa vierzig Männer und zehn Frauen gekommen, voneinander getrennt durch einen Paravent. Zur Hauptsache stammen sie aus dem Libanon, einige aus Syrien und dem Maghreb. Nur ein Schweizer ist unter den Zuhörern. Er ist Angestellter der Berufsfeuerwehr auf dem Flugplatz Kloten, hat eine Marokkanerin geheiratet und ist anschliessend zum Islam konvertiert. Vorher sei er ein nicht sehr gläubiger Christ gewesen und nur selten in die Kirche gegangen. Hier habe er seine religiöse Heimat gefunden, erzählt er stolz, und ein persönlicher Lehrer bringe ihm das islamische Ritual und die arabische Sprache bei.

Nach Sonnenuntergang gibt es Datteln und Wasser. Damit brechen die Muslime das Fasten. Während des Fastenmonats Ramadan dürfen die Gläubigen von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang weder essen, noch trinken oder rauchen. Dann folgt das Abendgebet. Der libanesische Imam Nizam Fakhouri ist eigens aus Lausanne angereist, wo er hauptberuflich ein religiöses Studienzentrum leitet. Mit den Schweizern könne er gut zusammenleben, denn die meisten seien tolerant und hätten Verständnis für andere Religionen. Mehr Sorgen bereiten ihm die fanatischen Muslime. Als eine seiner Hauptaufgaben nennt der Imam den Kampf gegen den politischen Islam, gegen Extremismus und Terrorismus, wie ihn radikale Muslime inÄgypten und Algerien praktizieren. Diese würden die Botschaft des Islams verdrehen, weshalb er Verständnis dafür habe, wenn arabische Staaten gewalttätige Gruppierungen, wie die Muslimbrüder, hart verfolgen würden. Das einzige, was die Radikalen interessiere, sei, die politische Macht an sich zu reissen, mit welchen Mitteln auch immer. Man würde sie völlig zu Recht als Fundamentalisten bezeichnen. Diese Parteien seien unter den Muslimen im Moment leider sehr gefragt, und das nicht nur in arabischen Ländern. Es gebe auch in Zürich Anhänger dieser fanatischen Gruppen. In welchen Zentren will er aber lieber nicht sagen. Mit ihnen könne man sowieso nicht diskutieren.

Diese Verurteilung des Extremismus wiederholt sich auch in den anderen Zürcher Zentren. Alle Verantwortlichen betonen, sie seien gegen den politischen Islam, und in ihren Moscheen würde er nicht geduldet. Man wisse aber sehr wohl, dass es anderswo Fundamentalisten gebe. So hat Oenay Akgün, Sekretär der türkisch-islamischen Stiftung an der Kochstrasse, davon gehört, dass es «graue Wölfe» (türkische Faschisten, die seit einigen Jahren mit religiöser Propaganda ihre rechtsextreme Politik islamisch zu legitimieren versuchen) in anderen Zürcher Zentren geben soll. Die vom türkischen Staat finanzierte islamische Stiftung sei aber eine rein kulturelle Institution, die sich ausschliesslich für die religiösen Belange der Türken in der Schweiz einsetze. Deshalb würde bei ihnen niemand nach seiner politischen Meinung gefragt. Oenay Akgün ist aberüberzeugt, dass es auch unter den «grauen Wölfen» gute Menschen gebe.

Frauen und Männer sind während der Koranlektionen im Islamischen Zentrum durch einen Paravent getrennt.



Einen religiösen Eiferer treffe ich an einem Mittwochnachmittag in der Moschee der islamischen Gemeinschaft an der Rötelstrasse unterhalb des Bucheggplatzes. Dieses zweistöckige, geräumige Zentrum wird hauptsächlich vonÄgyptern, Sudanesen, Somaliern, Tunesiern und Marokkanern frequentiert. Nach der Koranlektion von Scheich Ahmad Nureddin Muhammad, einemägyptischen Gelehrten von der konservativen al-Azhar-Universität in Kairo, dem theologischen Weltzentrum des sunnitischen Islams, der sich während des Fastenmonats um die religiöse Weiterbildung der hiesigen Muslime kümmert, spricht mich ein tunesischer Gemüsehändler an. Er will, dass ich möglichst schnell zum Islam konvertiere, und bemüht sich, mir dessen Vorzüge anhand einer Broschüre des bekannten indisch-fundamentalistischen Theoretikers Sayyid Abul Alaa Mawdudi zu verdeutlichen. Nur in einer islamischen Gesellschaft, in der Gottes Gesetze gelten, sei mein Seelenheil und ein Platz im Paradies garantiert. Gottlose und Atheisten würden dagegen ewig in der Hölle schmoren.

Im Unterricht der Koranschule der Islamischen Gemeinschaft an der Rötelstrasse lernen die Jungen und Mädchen Verse aus dem heiligen Buch der Muslime auswenig.



Andere formulieren es etwas weniger plakativ. So richtet etwa Nebi Redzepi, der Imam der albanisch-islamischen Gemeinschaft, seine guten Wünsche nur an Zürcher, die jüdischen, christlichen oder muslimischen Glaubens sind, da die Seelen der anderen sowieso hoffnungslos verloren seien. Das seit neun Jahren bestehende albanisch-islamische Zentrum ist an der Albulastrasse in einem ehemaligen Fabrikgebäude zwischen Shoppingcenter, Fast-food-Restaurant und Tiefgaragen in Zürich-Altstetten untergebracht. Auf einer Etage befinden sich der grosse Gebetsraum, ein Gemüse- und Früchteladen, eine Cafeteria, Büros und die Klassenzimmer der Koranschule. Zur Monatsmiete von 7790 Franken kommen noch die Lohnkosten des vollamtlichen Imams, so dass Sali Bajrami, der Sekretär des Zentrums, jährliche Ausgaben von 150 000 Franken errechnet, die sich auf 450 Aktiv- und 500 Passivmitglieder verteilen. Besonders stolz ist der Sekretär darauf, dass dem albanisch-islamischen Zentrum seit einem Jahr mit Nebi Redzepi ein eigener Imam vorsteht.

Der 32jährige Redzepi wurde in Mazedonien geboren, besuchte nach der Grundschule eine Medrese (Religionsschule) im saudiarabischen Medina, wo er anschliessend auch die theologische Ausbildung zum Imam absolvierte. Im Hauptfach studierte er die Scharia, das islamische Recht. Da er bisher nur wenig Deutsch spricht, hat er fast keinen Kontakt zur Zürcher Bevölkerung gefunden und kennt die Stadt noch kaum. Er lebt einzig für seine Religionsgemeinschaft, hält das Freitagsgebet und erteilt jeden Mittwoch, Samstag und Sonntag Lektionen in der Koranschule. Im Ramadan leitet er auch das tägliche Abendgebet, zu dem sich jeweils 400 Männer einfinden. Die Frauen beten, wie im Islamüblich, in einem getrennten Raum. Die wichtigste Aufgabe von Imam und Zentrum sei die Reislamisierung seiner Landsleute, wie Sali Bajrami betont. Die albanischen Gastarbeiter und Asylbewerber aus dem exjugoslawischen Kosovo, Mazedonien und Serbien müsse man wieder auf den Pfad des Islams zurückführen, denn sie seien in einem areligiösen Milieu aufgewachsen und wüssten fast nichtsüber ihren Glauben.

Zum Abendgebet in der albanisch-islamischen Gemeinschaft an der Albulastrasse finden sich während des Ramadan täglich vierhundert Gläubige ein.



Die Sorge, dass die religiösen Rituale und die Kenntnis des Korans in einer säkularen Umgebung ihre Attraktivität einbüssen, teilt der Sekretär der albanisch-islamischen Gemeinschaft mit Essam Badreddin, Vorstandsmitglied der islamischen Gemeinschaft. Der ausÄgypten stammende und inzwischen Schweizer gewordene Elektroingenieur befürchtet, dass die Kinder der Muslime in Zürich ihren Glauben und die Kenntnis der Traditionen verlieren würden. «In unsrem Zentrum wollen wir für die Kinder eine Umgebung schaffen, in der sie den Islam praktizieren können.» Weiter betont Essam Badreddin: «Die Kinder sollen sich wohl fühlen in der Gemeinschaft mit anderen gleichen Glaubens, gleicher Tradition und Sprache.» Je fünf Mädchen und Buben finden sich am Mittwochnachmittag zum Unterricht ein. Hier lernen sie die Säulen des Islams, die rituellen Waschungen, den Bewegungsablauf und das Rezitieren beim Gebet. Wie in allen Koranschulen besteht auch hier der Unterricht in arabischer Sprache im Auswendiglernen von Versen und ganzen Suren aus dem heiligen Buch der Muslime. Die in der islamischen Gemeinschaft praktizierte Koedukation ist aber die Ausnahme. In den anderen Koranschulen Zürichs achten die gestrengen Sittenwächter auf eine strikte Trennung der Geschlechter.

Gleich sind aber die Forderungen, welche die Verantwortlichen aller sechs islamischen Zentren an Behörden und Bevölkerung der Stadt Zürich richten: erstens die Errichtung eines islamischen Friedhofs, zweitens die Baubewilligung für eine zentrale Moschee mit Minarett und drittens die staatliche Anerkennung des Islams.

Die Verhandlungen für eine letzte Ruhestätte sind am weitesten gediehen. Isma•l Amin, Lehrbeauftragter der Universität Zürich und Präsident der islamischen Dachorganisation, betont, wie wichtig ein eigener Friedhof für die Muslime sei. Zum Leben gehöre der Tod, so Isma•l Amin, und dass man in Würde nach islamischem Ritual begraben werde. Bisher mussten die Leichen verstorbener Muslime für viel Geld und mit noch mehr Bewilligungen in ihre Heimatländerüberflogen werden. Jetzt habe der Zürcher Stadtrat ein Einsehen gehabt, erzählt Isma•l Amin, und den Muslimen ein eigenes Stück Land auf dem Areal eines Friedhofes in Altstetten zugewiesen.

Die Baubewilligung für eine grosse Moschee steht aber noch in weiter Ferne. Zur Begründung für ihren Bau erzählt Essam Badreddin eine rührige Geschichte: Er sei mit seiner sechsjährigen Tochter zur Vorweihnachtszeit mit dem Tram durchs festlich beleuchtete Zürich gefahren. Plötzlich habe seine Tochter gesagt, sie wolle keine Muslima mehr sein. Dem erstaunten Vater erklärte die Sechsjährige, sie möchte wegen der vielen Lichter lieber Christin sein. Darauf habe er ihr erklärt, dass die Muslime anstelle von Weihnachten den Fastenmonat und das ihn abschliessende Fest hätten. InÄgypten seien während des ganzen Ramadan die Minarette aller Moscheen schön beleuchtet. Gäbe es in Zürich auch ein islamisches Gotteshaus mit beleuchtetem Minarett, so hätte seine Tochter gewiss kein Bedürfnis mehr, Christin zu werden, und wäre stolz darauf, eine Muslima zu sein.

Die staatliche Anerkennung des Islam würde den Muslimen besonders am Arbeitsplatz und in der Schule mehr Rechte bringen: So müssten Arbeitgeber und Lehrer den Gläubigen die täglichen Gebete und am Freitag die Teilnahme am gemeinsamen Gebet in der Moschee ermöglichen. Während des Ramadan würden für sie spezielle Arbeits- und Schulzeiten gelten. Die Schülerinnen könnten den Schleier tragen und sich vom Turn- und Sportunterricht dispensieren lassen. In Betriebskantinen müsste man ein spezielles Menü, etwa mit Fleisch aus islamischen Metzgereien, auf der Speisekarte finden. Diese Forderungen dürften noch für viel Diskussionsstoff zwischen Vertretern einer säkularen Gesellschaftsordnung und Muslimen sorgen.


Dr. Ernst Hunziker hatte an der Universität Zürich Medizin studiert; er arbeitete als freier Journalist für Radio, Fernsehen und Zeitungen. Vor kurzem ist im Verlag Fromm, Osnabrück, sein Buch «Das Weltliche im Islam» erschienen. Ernst Hunziker ist am 9. Juni 1996 unerwartet verstorben. Bilder: Ernst E. Hunziker.


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Felix Mäder (fmaeder@zuv.unizh.ch)
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Last update: 25.6.1996