Magazin der Universität Zürich Nr. 2/97

Des Heilens Kunst

Das seltsame Hotel, wo keiner gerne Ferien verbringt, das merkwürdige Konglomerat von hochspezialisierten Containern und wissenschaftlichen Service-Hallen für harmlose bis heikle Reparaturen ist seiner Natur nach ein Locus artis: Seit Hippokrates die Medizin als Kunst verstand und so auch ausübte, berühren sich die beiden Bereiche ständig. – Ein Kunstspaziergang durch das Universitätsspital von Ludmila Vachtova.

Wie eine Stadt in der Stadt dehnt sich das Zürcher Universitätsspital zwischen der Gloria-, Rämi-, Schmelzberg- und Bolleystrasse aus. Die ehrwürdige Institution, das erste Mal 1204 erwähnt und mit der Universitätsgründung samt Medizinischer Fakultät 1832 verbunden, entwickelte sich proportional zu der Einwohnerzahl und wuchs rasant, dem Fortschritt der klinischen Forschung entsprechend.

Abb. 1:
Hans Aeschbacher (1906­1980): Harfe, Castione-Granit, 250x240 cm, 1953. Mittels spiralartiger, technisch sehr anspruchsvollen Öffnungen hat der Bildhauer dem harten Stein die grösstmögliche Leichtigkeit und Entmaterialisierung abgewonnen.

   
Abb. 2 (oben): Roman
Clemens (1910­1992): Auskippung eines Raumteils, Acryl auf Gipsplattstrich auf Sichtbeton, 248x493 cm, 1984. Der Bauhaus-Absolvent und erfahrene Szenograph hat die Eingangspartie im ehemaligen Schwesternhaus wie ein dynamisches Bühnenbild gestaltet.
Abb. 3, 4 und 5: (rechts)
Max Hunziker (1901–1976): Luft und Erde – Nacht; Wasser und Licht – Tag, Glasmalereien, 562x347 cm, 1952, Hörsaaltrakt. Das Diptychon, optimal in die Architektur eingegliedert und als eine unpathetische Erzählung über Leben, Freude, Schmerz und Tod konzipiert, gehört zu den frühen Klassikern der Schweizer Glasmalerei.

Was als ein Mischbetrieb begonnen hatte, präzisierte mit der Zeit und Form auch seine Funktion. Im Mittelalter waren dort noch drei Gefängniszellen sowie eine Remise für die städtischen Feuerwehr-Fahrzeuge vorhanden, im 19. Jahrhundert galt das Krankenhaus der Zürcher nebst Hamburg als die schönste Spitalarchitektur Europas.

Aussen Skulpturen, innen Ölbilder

Die Schönheit fiel dem Platzmangel zum Opfer. Es wurde weiter gebaut. Die ehemalige Poliklinik, 1943 bis 1945 unter der Leitung des Zürcher Architekturtrios Haefeli-Moser-Steiger entstanden, bleibt bis jetzt tonangebend auf dem durch Renovationen, Umstrukturierungen, Über- und Umbauten geplagten Areal. Das musische Triumvirat, nicht selbstverständlich in der Nachkriegszeit, wollte auch etwas Schönes im und um den Bau haben und zeichnete verantwortlich für das erste, lapidare Kunstkonzept: Aussen, vor allem bei den Eingängen, wünschten sie sich Skulpturen als Merkmal, innen an wichtigen, stark frequentierten Zonen Wand- oder Glasmalereien, in den ruhigeren Aufenthaltsräumen Ölbilder.

Die nächste Generation hat die Liste der geeigneten Kunsttechniken noch um Keramik und Textil erweitert. Für die Patientenzimmer und Korridore schliesslich sind graphische Blätter vorgesehen ­ eine bunte Sammlung, die schon immer vom hausinternen Malermeister verwaltet wurde und heute fast 4000 Nummern zählt.

«Künstlerischer Schmuck»

Was damals im Fachjargon scheusslich «künstlerischer Schmuck» hiess, wird heute als gehobene Lebensqualität und Zeichen von guter Bildung verstanden: In dem altneuen Koloss mit mehr als 25 Kliniken und Instituten ist überall Siebgedrucktes, Lithographiertes, Aquarelliertes oder Collagiertes zu sehen. Darüber hinaus kann man auch Kunstwerke finden.

In der neuen Funktion der kleinen Mäzene und Befürworter der Kunst fühlten sich die alten Bauherren noch um eine Stufe wichtiger, organisierten sorgfältig Wettbewerbe, vergaben Studienaufträge, wählten aus und kauften an. Risikofreudig waren sie hingegen nie, im Zweifelsfall entschieden sie immer für gute Dekoration und solides Zürcher Mittelmass, ein Willy Varlin oder Max Bill waren ihnen schon zuviel. Die Strategie der kleinen Kunstschritte führte natürlich nicht in schwindelerregende Höhen, aber zum Konsens, eine moderate Moderne galt als gewünschtes Ideal.

«Harfenkrieg» und «Frau Welt»

Trotz ausserordentlicher Vorsicht kam es zweimal zu einem Eklat. Als Hans Aeschbacher 1953 seine «Harfe» aus Granit im Park aufstellte, missfiel die erste abstrakte Skulptur im öffentlichen Raum der Schweiz den Ärzten sehr. Die Rolle des Sprachrohrs übernahm für die Akademiker ein Spitalgärtner, der sich in der Presse im Namen der betrogenen Steuerzahler über die unkünstlerische Abscheulichkeit empörte. Ein heftiger Harfenkrieg brach aus, sogar Max Frisch erhob für das Kunstwerk seine Stimme. Den letzten Fehlschuss feuerte ein «Volksrecht»-Leser: «Harfe? Ich sehe bloss einen Hefekuchen.»

Abb. 6:
Florin Granwehr (*1942): Raumnaht, CNS-Stahl, 3,6*3,46*25,2 m, 1985, Ausführung 1992, Terrasse über Betriebsgebäude. Sieben Prismen über sieben Trape-
zoiden als optische Passagen zu der Kuppel Gottfried Sempers.
Abb. 7:
Elisabeth Langsch (*1933): Treppenfiguren und Wandrelief, hochgebrannte, glasierte Keramik, 30*1000 cm, 1986, Gehbad. Aus farbig variierten keramischen Segmenten ist ein dreifaches Raumbild entstanden: Die Reflexe auf Wasserspiegel verbinden Wandrelief mit plastischen Treppenfiguren.

Fünfunddreissig Jahre später, als in der Cafeteria im Gelenk Otte Müllers besinnlich dominierende «Frau Welt» in Bronze erschien, beklagten sich die Angestellten, dass diese anorektische und unverschämt nackte Fremde die Hausordnung stört... Natürlich legten sich wieder die Gemüter, und die Kunstwerke haben längst gewonnen, doch ein bitterer Nachgeschmack bleibt. Die Kunsterziehung und das Kunstverständnis gehen gewaltig aneinander vorbei – eine Tatsache, an welcher auch der beste Plan für Kunst im öffentlichen Raum kaum etwas ändern kann.

60 Orte mit Kunst

Seit fünfzig Jahren wachsen Kunstwerke in das Bewusstsein des Unispitals hinein. An mehr als 60 Orten sind sie zu finden, Max Hunzikers Glaskompositionen «Tag und Nacht» und Max Truningers Suite der Wandmalereien gehören zu den Herzstücken der farbigen Vergangenheit, und die Gegenwart, mit Florin Granwehrs «Raumnaht», Petra Weiss' «Racconto» und Shizuko Yoshikawas «Fliessenden Farbräumen» vertreten, muss sich auch nicht schämen.

Trotz der respektablen, stets wachsenden Menge ist keine repräsentative Sammlung von Schweizer Kunst oder eine lebhafte Dokumentation der Zürcher Kunstszene entstanden. Die Auswahlkriterien sind offenbar anders als bei Museumsankäufen. Aber nach welchen Vorstellungen oder Wünschen richtet sich das Konzept, und für wen ist die Kunst im Spital bestimmt?

Mehr als 5000 Leute verschiedenster Berufe arbeiten in den medizinischen Instituten und der Verwaltung, 180 000 Patienten pro Jahr werden im Unispital registriert – eine riesige, wenn auch fluktuierende «interne Öffentlichkeit», ein ausgesprochenes Kunstpublikum wohl kaum. Und dennoch assistiert die Kunst, Operationssäle ausgenommen, überall als «wichtige Bereicherung auf dem Wege zur Genesung», wie alle beteuern.

Die 5000 Angestellten, darunter Sammler, geheime Künstler und verhinderte Malerinnen, vertreten fünftausend Meinungen über die Kunst und ihre Rolle. Die Akademiker, musisch sensibilisiert, sind vom Kitsch-Appeal nicht ausgeschlossen, und unter dem Pflegepersonal sind auch kluge Köpfe versteckt, deren Denken über das Therapie-Idiom geht. Die schillernde Ausdrucksskala und Formulierungsfähigkeit reicht von kritischen Bemerkungen auf dem Niveau heutiger Kunst- und Handelsaktualität bis zu rührend naiven Halbtheorien. Nichts ist unvorstellbar und alles vorhanden. Die multinational zusammengefassten Stellungnahmen ergeben ein tolles Potpourri: Man wünscht sich etwas Warmkaltes, Sanftkantiges und Herziges auf jeden Fall.

Ludmila Vachtova


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Last update: 20.07.97