Magazin der Universität Zürich Nr. 3/97

Bilaterale Verhandlungen im Gehirn

Grafik (12513 Byte)Das Gehirn im Test: Topographische Karten der Spannungsverteilung mit berechneten Dipolquellen (grün) kurz vor den drei Antwortbedingungen (links, rechts, beidseitig). Die Probanden mussten entweder mit der linken oder mit der rechten oder mit beiden Händen auf Signalreize reagieren. Kopf von oben betrachtet, Nase und Ohren eingezeichnet.

Körperbewegungen erfordern ein hohes Mass an motorischer Koordination. Wie misst man solche Koordination, die innert Sekundenbruchteilen im Gehirn erfolgt? Wann entwickelt sie sich bei Kindern? Ist sie bei überaktiven Kindern (Zappelphilipps) verändert? Zwei Institute der ETH und eines der Universität Zürich fanden sich zu einer fachübergreifenden Arbeitsgemeinschaft zusammen, um biomechanische, neurophysiologische und Verhaltensaspekte beidseitiger motorischer Koordination bei normalen und überaktiven Kindern zu erforschen.

Wie der Rest des Körpers ist auch das Gehirn symmetrisch aufgebaut. Interessanterweise erfolgt die motorische Informationsübermittlung vorwiegend übers Kreuz, indem die linke Gehirnhälfte die rechte Körperhälfte steuert und umgekehrt. Zur Abstimmung zwischen links und rechts benutzt das Gehirn verschiedene neuronale Querverbindungen. Diese sind für die Steuerung von Haltung und Bewegungen von grosser Bedeutung, denn schon für die einfachsten Tätigkeiten benutzen wir beide Körperseiten einzeln wie auch gleichzeitig. Bei einseitiger Bewegung hemmt nun die zuständige Hirnhälfte die andere, um Mitbewegungen zu vermeiden. Tests zeigen, dass diese Hemmung der einen durch die andere Hirnhälfte, zwar abgeschwächt, auch dann noch mitspielt, wenn sie eigentlich nicht nötig wäre, wenn beispielsweise die linke und die rechte Hand gleichzeitig das Gleiche tun sollen. Muss man mit den Fingern beider Hände gleichzeitig auf ein Signal reagieren, so ist diese Antwort bei Erwachsenen langsamer und schwächer, als wenn ein einseitiger Fingerdruck verlangt wird. Dieses Phänomen wird «beidseitiges Defizit» genannt.

Kinder bewegen oft noch die andere Seite unwillkürlich mit. Zeigen sie trotzdem schon ein beidseitiges Defizit? In Reaktionstests werden gleichzeitig Kraft und Hirnfunktion in einseitigen und beidseitigen Versuchsbedingungen gemessen. In einem klinischen Teil werden weiter normale und Kinder mit motorischer Überaktivität und verminderter motorischer Hemmung miteinander verglichen.

Kraft und Hirnfunktion werden kontinuierlich gemessen und mit Millisekunden-Auflösung nach dem Signalreiz und vor der Antwort verfolgt. Die Kraftkurven erfassen Mitbewegungen und Koordinationsprobleme. Die Hirnfunktionen werden mit dem Elektroenzephalogramm (EEG) an der Kopfhaut gemessen und als topographische Karten der Spannungsverteiler dargestellt. Weitere Berechnungen bestimmen die dabei aktivierten Hirnstrukturen.

Erste Kraftkurven-Ergebnisse belegen, dass normale elfjährige Kinder bereits ein beidseitiges Defizit zeigen, wie die entsprechenden topographischen Karten vor den Antworten zeigen (siehe Abbildung). Jede Karte hat einen positiven (rot) und einen negativen Pol (blau); die daraus berechnete Dipolquelle (grün) zeigt den Schwerpunkt der Hirnaktivität an. Vor einseitigen Antworten entstehen spiegelbildlich lateralisierte Karten mit Dipolquellen, die wie erwartet in den gegenüberliegenden motorischen Hirnarealen liegen. Vor beidseitigen Antworten zeigt sich eine symmetrische Karte und eine mittlere Dipolquelle. Die Spannungen sind aber viel schwächer, als wenn diejenigen der einseitigen Karten addiert würden.

Kraftkurven und Hirnfunktionskarten weichen auch in anderen Phasen des Tests von der Additivität ab, wie man dies bei beidseitigen Defiziten erwartet. Wir untersuchen nun weiter, ob sich Unterschiede zu überaktiven Kindern finden. Falls diese Kinder ein vermindertes beidseitiges Defizit mit anderem Hirnfunktionsmuster zeigen, wäre dies auch für Diagnose und Therapie von Bedeutung.

Jürg Steger


Das vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützte Projekt ist Bestandteil der Doktorarbeit von Jürg Steger, dipl. Natw. ETH. Es wird geleitet von Dr. Daniel Brandeis und Professor Hans-Christoph Steinhausen, Psychiatrische Poliklinik für Kinder und Jugendliche, Universität Zürich, Professor Edgar Stüssi, Laboratorium für Biomechanik, ETH Zürich, und Professor Hans Zeier, Institut für Verhaltenswissenschaft, ETH Zürich.


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unipressedienst – Pressestelle der Universität Zürich
Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
Last update: 09.01.98