Magazin der Universit?t Z?rich Nr. 3/97

Zusammenarbeit mit Tradition und Zukunft

Wer die beiden Hauptgebäude der Universität und der ETH Zürich, Turm neben Kuppel, einträchtig nebeneinanderliegen sieht, dem stellen sich möglicherweise diese Fragen nicht: zwei Hochschulen – zwei Welten? Konkurrenten oder Partner? Im Hochschulleben sind sie aber von Bedeutung, wenn zwei Hochschulen mit unterschiedlichen Institutionalisierungsformen und unterschiedlicher Ausrichtung noch enger zusammenarbeiten wollen. Dass sie dies wollen, daran besteht für die Leitungen beider Hochschulen kein Zweifel. Und so antworten sie auf die Fragen der Redaktion gemeinsam, mit einer Stimme. Red und Antwort standen Uni-Prorektor Clive C. Kuenzle und ETH-Rektor Konrad Osterwalder vom Arbeitsausschuss «Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Universität und ETH».

Die Zusammenarbeit beider Zürcher Hochschulen hat eine lange Tradition. Jetzt erhält diese durch neue Rahmenbedingungen im Umfeld der Hochschulen eine neue Dimension. Weshalb ist das Thema Zusammenarbeit heute besonders aktuell?

Tatsächlich besteht eine Tradition der Zusammenarbeit der beiden Institutionen seit der Gründung der etwas jüngeren ETH im Jahre 1854/55. Dies lässt sich an mehreren Beispielen belegen: Von Anfang an gab es Doppelprofessuren, gegenwärtig sind es deren 20; hinzu kommen drei gemeinsame Institute, nämlich Biomedizinische Technik, Neuroinformatik, Toxikologie und vier gemeinsame Kompetenzzentren: Neurowissenschaften, Pflanzenwissenschaften, Erdbeobachtung und Geoinformatik sowie das Zentrum für Internationale Studien. Zunächst war die ETH sogar in den Gebäuden der Universität untergebracht, etwas später genoss die Universität im Gegenzug Gastrecht an der ETH.

So gesehen war das Thema Zusammenarbeit für beide Hochschulen von Anfang an immer aktuell. Doch neue Impulse erhielt die Zusammenarbeit 1996 durch die Gründung des Arbeitsausschusses «Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Universität und ETH», dem Mitglieder der Universitätsleitung und der Schulleitung ETH angehören.

Was versprechen sich die beiden Institutionen von einer intensivierten Zusammenarbeit?

Universität wie ETH versprechen sich davon eine bessere Ausnützung des beidseits vorhandenen Potentials. Insbesondere führt die Zusammenarbeit zu einem breiteren Angebot in Forschung und Lehre sowie zu einer noch effizienteren Ausnutzung vorhandener Infrastrukturen.

Welche Bedeutung soll der Hochschulstandort Zürich im neuen Hochschulsystem Schweiz haben?

Der Hochschulplatz Zürich nimmt bereits heute im Hochschulsystem Schweiz einen prominenten Rang ein: Ein Drittel aller Schweizer Studierenden ist in Zürich zu finden. Das hängt natürlich mit dem einmalig breiten Spektrum des Forschungs- und Lehrangebots zusammen, das von der Philosophie bis zur Technik alles umfasst. Nicht zu vergessen ist auch die Kombination zweier grosser Universitäten mit einer Weltstadt wie Zürich. Diese bietet einen optimalen Anschluss an den Nah- und Fernverkehr, ein reiches kulturelles Angebot und kurze Wege zu Wirtschaft und Industrie. Interessant ist die Nähe zu verschiedenen staatlichen und privaten Forschungseinrichtungen wie das Paul-Scherrer-Institut oder etwa die Grossfirmen Sulzer und ABB. Schliesslich ist noch eine intensivere Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachhochschulen im Einzugsbereich Zürichs geplant. In Zukunft möchte der Hochschulplatz Zürich seinen Einfluss über die Schweiz hinaus ausdehnen und auch im europäischen Raum eine führende Rolle spielen.

Im Hochschulsystem Schweiz zeichnet sich eine Schwerpunktbildung ab im Sinne von nationalen Kompetenzzentren.Welche Schwerpunktbildungen sind für Zürich vorgesehen?

Der Hauptakzent der gemeinsamen Schwerpunktbildung auf dem Hochschulplatz Zürich liegt in der weitreichenden Verflechtung der Ingenieurwissenschaften mit den «Life Sciences» und der Klinischen Medizin unter Einbezug der Geistes- und Sozialwissenschaften. Dies drückt sich in den Schwerpunkten der strategischen Pläne aus (Schwerpunkte).

Beide Hochschulen haben aufgrund der Gründungsideen und ihres Fächerspektrums verschiedene Kulturen. Die technische Hochschule steht einer Volluniversität gegenüber, die Studierenden sind unterschiedlich frei in der individuellen Gestaltung ihres Studienplans. Führt dies zu besonderen Problemen bezüglich der Zusammenarbeit? Und wie können diese allenfalls überwunden werden?

In der Lehre stellen sich die wichtigsten Aufgaben, die wir zu lösen haben, nicht so sehr aus dem unterschiedlichen Fächerspektrum als aus den unterschiedlichen Philosophien.

Die ETH legt traditionell Wert auf ein zügiges Absolvieren des Studiums und benützt dazu ein streng reglementiertes Studienprogramm, vor allem in den ersten zwei Studienjahren. Daraus resultiert eine relativ geringe Wahlmöglichkeit für die Studierenden. Dieser Einschränkung will die ETH jetzt durch Einführen eines Kreditsystems entgegentreten. Die Universität legt Wert auf weitestgehende Wahlmöglichkeiten, womit sie seit jeher die Interdisziplinarität gefördert hat. Als Nachteil entstehen daraus etwas längere Studienzeiten. Zudem besteht die Gefahr der Orientierungslosigkeit für Studierende, die diesem liberalen Gedanken nicht gewachsen sind.

Beide Hochschulen unternehmen grosse Anstrengungen, vergleichbare Studiengänge vermehrt aufeinander abzustimmen. Dazu gehört eine …ffnung zwischen den Fächern. Im Einzelfall sind noch viele Probleme zu lösen. Besonders die Stundenplangestaltung erweist sich als schwierig. So organisiert sich das Studium an der ETH in kontinuierlich über das Semester verteilte Kurse, die Universität setzt in manchen Fächern auf Blockkurse. Beide Hochschulen haben mit ihren Systemen gute Erfahrungen gemacht und möchten nur schrittweise davon abweichen.

In den Naturwissenschaften sowie den Human- und Sozialwissenschaften werden ganze Bereiche doppelt geführt. Wäre eine Aufgabenteilung der Hochschulen nicht sinnvoller?

In manchen Fächern sind die Studierendenzahlen so gross, dass eine Zusammenlegung vergleichbarer Bereiche keine Einsparung ergäbe. Man darf hier nicht nur auf die Hauptfachstudierenden abstellen, die Zahl der Nebenfachstudierenden ist häufig um ein Mehrfaches höher. Ebenso müssen die Servicevorlesungen und -kurse berücksichtigt werden, beispielsweise der Naturwissenschafter für die 400 bis 500 Medizinstudierenden.

In anderen Fachgebieten sind die Angebote nicht vergleichbar. Die Geistes- und Sozialwissenschaften haben an der Universität und der ETH eine völlig andere Bedeutung. An der Universität existieren eigentliche Studiengänge mit einem eigenen Abschluss; an der ETH dienen die Lehrangebote an der Abteilung für Geistes- und Sozialwissenschaften den Ingenieuren und Naturwissenschaftern für ein umfassenderes Verständnis ihrer zukünftigen Tätigkeit; sie führen aber nicht zu einem Abschluss. Diese sogenannten Doppelspurigkeiten haben positive Auswirkungen, da beide Seiten von dem nuancierten, breiteren Angebot profitieren.

Seit 1996 befasst sich eine Arbeitsgruppe beider Hochschulen mit den gegenwärtigen und künftigen Perspektiven der Zusammenarbeit. Sind hieraus bereits Schwerpunkts-, Abbau-, oder Umlagerungsbereiche an den beiden Hochschulen ersichtlich?

Der Arbeitsausschuss in der heutigen Form wurde 1996 gegründet. Zwei Jahre vorher haben wir allerdings schon eine gemeinsame Evaluation unserer Biologiebereiche vorgenommen. Aus den bisherigen Aktivitäten sind folgende Entwicklungen hervorgegangen:

  • Gründung eines Kompetenzzentrums für Neurowissenschaften und die Schaffung einer Doppelprofessur in diesem Bereich;
  • Gründung eines Kompetenzzentrums für Pflanzenwissenschaften;
  • Gründung eines Zentrums für Internationale Studien in gemeinsamen Räumlichkeiten;
  • Änderung einer Doppelprofessur für Züchtungsbiologie am Institut für Nutztierwissenschaften der ETH und am Departement für Fortpflanzungskunde der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität;
  • Änderung des Instituts für Toxikologie der ETH und der Universität unter Umlagerung von Forschung und Lehre auf bestehende Arbeitsgruppen an beiden Hochschulen;
  • gemeinsamer Ankauf von Hochfeld-NMR-Spektrometern durch ETH und Universität sowie gemeinsamer Betrieb der NMR-Anlagen auf dem Irchel durch die Chemischen Institute der Universität und das Institut für Pharmazie der ETH.

Zusammenarbeitspläne und -prozesse in der Westschweiz führten zu verschiedenen Modellen der Zusammenarbeit unter den Hochschulen. Ist eines dieser Modelle auch für Zürich wegweisend?

Was in der Westschweiz unter den Namen BENEFRI oder Arc LŽmanique als Neuheit erscheint, machen wir in der einen oder anderen Form schon seit über 100 Jahren. Bei BENEFRI handelt es sich um eine Zusammenarbeit zwischen drei Universitäten ähnlicher Kultur. Im Gegensatz dazu unterscheiden sich Universität und ETH in ihrem Grundcharakter wesentlich: sowohl bezüglich ihrer Lehrbereiche als auch bezüglich ihrer Lehr- und Lernphilosophie. Daraus entstehende Probleme der Zusammenarbeit werden aber bei weitem kompensiert durch eine enorme Bereicherung des breiten Angebots, die auf dem Hochschulplatz Schweiz einzigartig ist und ihm auch zugute kommt.

Wie eng soll die Zusammenarbeit Universität und ETH werden? Wird es zum Beispiel einmal ein gemeinsames Uni-ETH-Diplom geben?

Unser Modell der Zusammenarbeit sieht folgendermassen aus: Wir wollen die kulturelle Vielfalt unserer beiden Hochschulen bewahren und diesen Reichtum auf der Grundlage einer «friendly competition» ausschöpfen. Deswegen steht eine Fusion nicht zur Diskussion. Und ein gemeinsames Uni-ETH-Diplom ist kein erstrebenswertes Ziel.

In den von beiden Hochschulen gepflegten grösseren Bereichen werden wir unser Angebot je in der uns eigenen Form aufrechterhalten und unser Profil bewahren. Dabei werden wir aber auf eine erhöhte Durchlässigkeit achten, unsere Lehr- und Forschungspläne aufeinander abstimmen und weiterhin für einen regen Gedankenaustausch sorgen. Gemeinsame Forschungsseminarien gehören seit eh und je zur Tagesordnung. In zukunftsträchtigen, interdisziplinären Bereichen werden wir weitere gemeinsame Kompetenzzentren aufbauen mit koordinierten oder gemeinsamen Diplom- und Doktorandenstudien, wie das neue Kompetenzzentrum Neurowissenschaften. Eine räumliche Zusammenlegung verwandter Bereiche, wie sie sich in der Ansiedlung der Pharmazie der ETH in der Nähe von Pharmakologie und Chemie der Universität auf dem Irchel-Areal bewährt hat, wird vermehrt geprüft. In grossen Bereichen, die jeweils nur an einer der beiden Hochschulen vorhanden sind, soll das disziplinenübergreifende Denken gefördert werden, und zwar sowohl innerhalb als auch zwischen den beiden Hochschulen. Beispiele dazu sind Finanzmathematik / Versicherungsmathematik / Banking and Finance / Volkswirtschaft oder Biokompatible Werkstoffe / Zellbiologie / Medizin. In sehr kleinen Bereichen werden wir fallweise darüber entscheiden, ob sie nur noch an einer Hochschule gelehrt werden sollen und letztlich an welcher. Ein wichtiges Element der Zusammenarbeit wird natürlich auch die gemeinsame Beschaffung sehr teurer Geräte sein.

Gibt es überhaupt genügend rechtliche Grundlagen für eine Zusammenarbeit zwischen der kantonalen Universität und der ETH, die dem Bund untersteht?

Ja, es bestehen genügend rechtliche Grundlagen für eine intensive Zusammenarbeit. Verträge, Vereinbarungen und Absprachen werden stufengerecht geschlossen.

Wird angesichts der gegenwärtigen Globalisierungstendenzen, in deren Folge sich auch die Hochschulen weltweit positionieren müssen, künftig eine gemeinsame Philosophie des Hochschulstandorts Zürich entwickelt und nach aussen sichtbar?

Es existiert bereits heute eine gemeinsame Philosophie des Hochschulstandortes Zürich. Ziel dieser Philosophie ist, ein Lehr- und Forschungsplatz mit internationaler Ausstrahlung zu sein. Dieses Ziel verfolgen wir über zwei eng verflochtene, doch unterschiedliche Wege. Wir folgen dem Beispiel von Harvard und MIT in Boston, die ähnlich wie Universität und ETH eng benachbart sind und trotz intensiver Zusammenarbeit ihre eigene Identität bewahrt haben. Das ist unsere Vision für die Zukunft.

Interview: Martina Märki und Heini Ringger

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Uni-Prorektor Clive C. Kuenzle

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ETH-Rektor Konrad Osterwalder

«Der Hochschulplatz Zürich nimmt bereits heute im Hochschulsystem Schweiz einen prominenten Rang ein: Ein Drittel aller Schweizer Studierenden ist in Zürich zu finden.»

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

«Beide Hochschulen unternehmen grosse Anstrengungen, vergleichbare Studiengänge vermehrt
aufeinander abzustimmen. Dazu gehört eine …ffnung zwischen den Fächern.»

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

«Es existiert bereits heute eine gemeinsame Philosophie des Hochschulstandortes Zürich. Ziel dieser Philosophie ist, ein Lehr- und Forschungsplatz mit internationaler Ausstrahlung zu sein.»


Schwerpunkte in den strategischen Plänen

  • Informationstechnologie
  • Rechnergestützte Wissenschaften
  • Neue Materialien mit Schwerpunkt biologisch-medizinisch ausgerichtete Werkstoffe und Verfahren
  • Molekularwissenschaften inkl. Strukturbiologie und Molekulare Medizin
  • Neurowissenschaften
  • Entwicklungsbiologie
  • Pflanzenwissenschaften
  • Produktionswissenschaften
  • Banking and Finance
  • Ethik

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unipressedienst – Pressestelle der Universität Zürich
Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
Last update: 09.01.98