unimagazin Nr. 3/98
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Fundstücke eines «Jetzt-Archäologen»

Die beiden Bildergeschichten in diesem Heft und das Cover sind hintersinnig und manchmal ein bisschen närrisch und stammen aus der Hirnregion, wo Intuition und Phantasie zu Hause sind.

Wie konstituiert sich Erinnerung? Ist sie immer nur das, was wir in einem bestimmten Augenblick der Gegenwart zu sehen vermögen oder sehen wollen? Haben wir von der eigenen Vergangenheit nur das, «was sie von selbst preisgibt», wie Martin Walser in seinem neusten Roman «Ein springender Brunnen» schreibt? Gibt es kollektive Erinnerungsformen? Und wohin führt uns der Blick auf Klassenfotos und Familienalben?

Der 1957 geborene, in Zürich lebende Fotograf, Filmer und Objektkünstler Peter Volkart versieht seine Bildserien mit einer Reihe von formalen und inhaltlichen Codes, die auf die Authentizität und Objektivität von fotografischer Erinnerung verweisen sollen: Das Leben von Harald und Herbert Levinsky, die erste Serie in diesem Heft (Seite 19 bis 27) wird auf vergilbtem Fotopapier, auf Notizzetteln und über herausgerissene Zeitungsartikel nachgezeichnet. Sie könnten so gelebt haben, die eineiigen Zwillinge. Ihre Lebensgeschichte ist nachvollziehbar, wenn auch manchmal etwas pathetisch und skurril. Und dass sie sich nach fünfzig Jahren wieder treffen, gehört zu den Geschichten, die das Leben schreibt.


Harald und Herbert Levinsky
Relikte aus der Gegenwart

Auch wenn fast alles in den Bildergeschichten von Peter Volkart fake ist, das Zusammenspiel von Bild und Text an Comics erinnert und viele der Bildunterschriften mit einem grossen Augenzwinkern gesetzt sind, erscheinen doch manche Szenen ganz familiär. Den Gestus der Bilder kennen wir, erst was sie erzählen, macht stutzig.

Diesen Künstler zeichnet eine unbändige Lust aus, Artefakte herzustellen, sie zu fotografieren und in seine Geschichtenwelten hineinzumontieren. «Fredeli», das Objekt, das die Umschlagseiten dieses Heftes ziert, ist in der Volkartschen Werkstatt entstanden. Ein moderner, durchaus gutmütiger Hausgeist.

Anfang der neunziger Jahre hat Peter Volkart das imaginäre Museum des Dr. Wendelhammer präsentiert, die Sammlung eines verschollenen Erfinders und Archäologen, wie der Künstler sagt. Er hat Alltagsgegenstände wie Toaster, Kamm, Computerdiskette, Tonband in versteinerte und präparierte Fundstücke verwandelt, die sich ausnehmen wie Relikte aus einer vergangenen Zeit, und in einem Ausstellungsbuch der Wendelhammerschen Kollektion ebenso imaginäre Expeditionsfotografien beigesellt.
Relikte aus der Zukunft

Igor Popov, der Held aus Peter Volkarts zweiter Story (auf den Seiten 47 bis 53), repräsentiert Vergangenheit und Zukunft in einem. Wenn es schon Ghostwriter und Leihmütter gibt, warum sollen wir in absehbarer Zukunft nicht auch unsere Erinnerungen outsourcen können?

Cortex, die Firma, für die Popov arbeitet, vertreibt auch Büchsenneuronen. Das Design dieser Büchsen kommt Campells Suppenbüchsen sehr nahe, die Andy Warhol als Vorlage für viele seiner Bilder verwendet hat. Warhol hat Gebrauchsgegenstände zu Kunst gemacht, Volkart holt sie wieder ins Regal zurück.

Was war wirklich, werden sich die Menschen in kommenden Jahrhunderten fragen müssen? Wirklich im Sinne von «echt». Peter Volkart spielt mit diesem ambigueren Raum zwischen dem Möglichen und dem Realen. Die Kunst, sagt er, bewege sich in einer Sphäre des Understatements, des Nicht-Gesagten, des Gefühls und der unbestimmten Ahnung.

Obwohl die Bildgeschichten in diesem Heft erstunken und erlogen sind, kommen sie uns vertrauter vor als die Aufnahmen, die zum Beispiel ein Computertomograph von einem Hirn liefert. Wir sind uns das Lesen von Geschichten, wie sie Peter Volkart erfindet, gewöhnt. Wir könnten uns vielleicht sogar vorstellen, ein Leben zu leben ohne das Wissen um das Gehirn. Aber der Gedanke, ohne eine Vergangenheit existieren zu müssen, ohne eine Herkunft, sei sie auch noch so diffus und konstruiert präsent, wäre grauenhaft.


Arbeiten von Peter Volkart sind bis zum 7. November in der Galerie Art-Magazin, Militärstr. 42, in Zürich und vom 23. bis 26. Oktober an der «Kunst 98 Zürich» in den ABB-Hallen in Zürich-Oerlikon zu sehen. Die Bildserie «Harald und Herbert» ist Teil einer Arbeit des Künstlers in der Zürcher Klinik Hirslanden.

Igor Popov



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unipressedienst – Pressestelle der Universität Zürich
Daniel Bisig (upd@zuv.unizh.ch)
Last update: 14.10.98