Kristallhaus in silberner Fassung

Das Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde an der Plattenstrasse 15 in Zürich ist der neuste High-Tech-Glaspalast aus dem Büro des Zürcher Architekten Theo Hotz. Für die 42 Millionen Franken teure Erweiterung des zahnärztlichen Instituts war nur das Beste gut genug: Aufwendige Fassadentechnologie, teure Materialien und höchster Ausstattungs- und Installationsstandard in den Behandlungsräumen. Der grün schimmernde Bau ist ein elegantes Manifest für Glasarchitektur, doch stösst die transparente Haut bei den Benutzern auf einige Kritik.Organisation der Wissensproduktion.

VON RODERICK HÖNIG

Von aussen ist vom Neubau alles und nichts zu sehen. Nichts, wenn man den Baukörper aus Distanz betrachtet und er nur als filigraner, exakt geschnittener Kristallkubus in Erscheinung tritt. Alles, wenn man näher kommt und der Bau zum durchsichtigen Glashaus wird, hinter dessen Scheiben die Zahnbehandlung spannendes «Reality-TV» für Passanten bietet. Die Entscheidung, an der Plattenstrasse einen leichten und luftigen Glaskubus zu bauen, überzeugt auf der städtebaulichen Ebene, denn der Bau ist durch seine Transparenz deutlich leichtfüssiger als das benachbarte zahnärztliche Institut mit seinem markanten Hochhaus, das die Architekten Häfeli, Moser, Steiger im Jahre 1962 fertigstellten. Das Glashaus gibt dem engen und verschachtelten Uniquartier rund um die Plattenstrasse wieder etwas Raum und Atem zurück.

Der gläserne Treppenhausturm ist vom Baukörper abgesetzt und überragt die drei Hauptgeschosse. Die Skulptur von Gottfried Honegger untermalt die Horizontal-Vertikal-Komposition.
(Fotos Markus Fischer)

Der Baum und das Haus

In den grossen Glasflächen, die das Haus wie eine feine Haut einhüllen, spiegeln sich die Sonne, die Wolken, die Nachbarhäuser und die grünen Äste einer alten Zeder. Der langgestreckte Riegel wächst langsam aus dem bereits umgebauten Gebäude an der höhergelegenen Pestalozzistrasse 10 heraus und schiebt sich dann durch den von Roland Raderschall gestalteten Garten mit dem Kopf sachte an die imposante Zeder an der Plattenstrasse heran. Nicht zu nah, nicht zu fern, so dass Baum und Glashaus eine respektvolle Allianz bilden und das Bild einer Villa im Park hervorrufen.

Blick von der Pestalozzistrasse auf die mächtige Zeder an der Plattenstrasse. Glaslamellen schützen den Klinikbereich vor der Sonneneinstrahlung.

Ein gläserner, abgesetzter Treppenhausturm in der schmalen Zufahrt zwischen Alt- und Neubau markiert den seitlichen Eingang und überragt die drei Hauptgeschosse. Die gelbe Passerelle in der ersten Etage wird das Gebäude mit dem zahnärztlichen Institut nach dessen Sanierung verbinden. Die drei Glaskörper, Hauptbau, Treppenhaus und Passerelle bilden eine ausgewogene Horizontal-Vertikal-Komposition, die durch die blaue Skulptur von Gottfried Honegger untermalt wird.

Alles unter einem Dach

Der lange Skelettbau lässt sich in Kopf und Rumpf unterteilen. Man betritt das Gebäude durch den fast quadratischen, nicht von Lamellen geschützten Kopf an der Plattenstrasse. Sein Rumpf verbindet den Bau nahtlos mit der Pestalozzistrasse 11 und verbirgt hinter der Glaslamellenfassade den Klinikbereich und die studentischen Kursräume im 2. Obergeschoss.

Patientengang in der Kieferchirurgischen Klinik im ersten Obergeschoss. Links die Behandlungsnischen, dahinter der Gang fürs Personal.

In den beiden Untergeschossen befinden sich ein Photostudio, Personalgarderoben und die Zuluftzentrale. Der neue Hörsaal mit rund hundert Plätzen wird ausgelagert und unter der Zufahrt zwischen dem Neu- und Altbau versenkt.

Im Erdgeschoss ist die Klinik für Alters- und Behindertenmedizin (KAB) untergebracht. Sie hat insgesamt 16 Behandlungsplätze entlang der Fassade. Im ersten Stock befinden sich die zahnärztliche Polyklinik und die Tagesklinik mit dem Notfalldienst. Zusätzlich gruppieren sich im Kopfbau auf den ersten beiden Etagen jeweils kleine Büros, Ärztezimmer und eine Reception um den offenen Warteraum in der Mitte. Über den beiden Kliniken liegen die Kursräume und Labors für die Studenten und Studentinnen des dritten Jahreskurses.

Im zurückgesetzten Kopf des Dachgeschosses befindet sich die Bibliothek und im Rumpf die imposante Haustechnikmaschinerie: Die Kühltürme, die Fortluftzentrale, das Regenwasserauffangbecken, die Filteranlage und die Installation zur Wärmerückgewinnung nehmen rund zwei Drittel des Dachgeschosses ein. Die den Aufbau umfassende Dachterrasse ist der Aussenraum für die Benutzer der Bibliothek. Hier ist genügend Platz für eine Rauch- oder Znünipause, im Sommer können sich die Studenten sogar mit Stuhl und Buch unter den Schatten des Baumes zurückziehen. Die Äste der Zeder sind hier so nah, dass man sich in einem Baumhaus wähnt.

Kritik an der Glasfassade

Mit der faszinierenden schimmernden Glashaut sind aber nicht alle einverstanden. Vor allem in der erdgeschossigen KAB, wo die Behandlungsplätze direkt an der Fassade liegen, fühlen sich einige Patienten unwohl. Da die Lamellen elektronisch auf Sonnenstrahlen und nicht auf Schaulustige reagieren sind sie auf dem Behandlungsstuhl wehrlos neugierigen Blicken ausgesetzt.

In der darüberliegenden chirurgischen Polyklinik ist das Problem besser gelöst: Hier führt ein langer Gang die Patienten entlang der Fassade zu den zurückversetzten Behandlungsnischen, ein zweiter Gang für die Ärzte und das Personal liegt auf der anderen Seite der Koje. Die Behandlungsräume werden so zwar auf Kosten der Erschliessung kleiner, doch schützen hier halbhohe Stellwände die Patienten vor Einblicken und lassen dennoch genügend Tageslicht einfallen. Diese Organisation hat auch hygiensche Vorteile, denn Ärzte und Patienten gehen verschiedene Wege und treffen nur am Behandlungsstuhl aufeinander.

Ein weiterer Nachteil der Glasfassade sind die Reinigungskosten. Dass die 10 000 jährlich budgetierten Franken für die Glasreinigung nicht reichen, zeigt nun ein Kostenvoranschlag: Allein für die Fensterreinigung muss man mit einem Betrag von 150 000 Franken pro Jahr rechnen.

Ein weiteres Glashaus von Hotz

Für den dieses Jahr siebzig gewordenen Zürcher Architekten Theo Hotz ist das Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde ein weiterer Bau in seiner beachtlichen Reihe von gläsernen High-Tech-Maschinen. Vor einem Jahr konnte er beispielsweise die beiden gewaltigen Bürokomplexe und Fabrikhallen Toro I und II für die ABB in Zürich-Oerlikon fertigstellen. Auch das Feldpausch-Haus an der Bahnhofstrasse oder das nur wenige Meter davon entfernte Bürohaus mit gebogener Glasfassade am Löwenplatz stammen aus seiner Feder. Spätestens aber seit 1978, seit dem Fernmeldebetriebszentrum an der Bernerstrasse in Zürich-Herdern, dem silbergrauen UFO mit den gelben Lüftungsstutzen, kennt jeder Autofahrer der Schweiz Theo Hotz. Der Hochbauzeichner und Autodidakt ist bekannt für seine brillanten Fassadenmaschinen, ökonomischen Grundrisse und seine intelligente Raumorganisation. Für das zahnmedizinische Zentrum der Universität Zürich hat der mehrfach preisgekrönte Schweizer High-Tech-Architekt eine intelligente Lösung für ein enges Grundstück gefunden. Das Gebäude ist zurückhaltend und dennoch eigenständig und vor allem entlang Zedernstrasse eine Aufwertung fürs Quartier. Es ist ein filigraner Bau, der seine wuchtige Grösse durch Transparenz gut versteckt, und das an einem Ort, an dem auch alles hätte falsch gemacht werden können. Wenn die Kinderkrankheiten ausgestanden sind, wird er zu einem Meilenstein der Zürcher Universitätsbauten.


Roderick Hönig ist Architekt und Journalist in Winterthur.

unipressedienstunimagazin Nr. 3/97


unipressedienst – Pressestelle der Universität Zürich
Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
Last update: 22.12.98