Frauenförderung und Paternalismus: zum Geschlechterdiskurs

Früher waren die steinernen Frauenfiguren, Allegorien der sapientia oder prudentia, die die Tore der Alma mater, der nährenden Mutter des erkennenden Geistes, schmückten, Torhüterinnen, die den leibhaftigen Frauen den Zutritt zum Tempel des Wissens verwehrten. Nachdem das Eintrittsverbot aufgehoben wurde, sind es die internen männerbündischen Strukturen, die beharrlich den Ausschluss – oder aber den Sonderstatus – von Frauen in den «oberen Rängen» fortschreiben.

VON SIGRID WEIGEL

Ein Gespenst geht um in den Universitäten des Landes: Es heisst «Frauenförderung», manchmal auch «Gleichstellung». Wer wissen möchte, worum es dabei geht, wird zunächst mit Statistiken konfrontiert, oft auch mit stolzen Erfolgsmeldungen über den Anstieg des Frauenanteils an den Universitäten. Noch grübelndüber das Wortungetüm «Frauenanteil», stellt sich im Fortgang der Lektüre schnell heraus, dass hier vor allem von Studierenden die Rede ist, während der prozentuale Anteil von Frauen an der Gesamtgruppe auf der Leiter der akademischen Laufbahn in schöner Gesetzmässigkeit abnimmt.

Weshalb Frauenkarrieren im Sand verlaufen

Nach nahezu 100 Jahren Zugangs zur Alma mater haben an der Universität Zürich die Frauen unter Bedingungen formaler Gleichstellung in der Professorengruppe die Quote von etwa 6 Prozent erzielt. Man kann also leicht ausrechnen, wie viele Jahrhunderte sie noch brauchen werden, bis bei gleichem «Fortschritt» ungefähr die 50-Prozent-Marge erreicht sein könnte. Um die Statistik zu bereinigen, ist in den letzten Jahren immer wieder von «Fördermassnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils» die Rede, wozu meist eher bescheidene Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Bei der Ermittlung der Gründe, warum «Frauenkarrieren» nach der Promotion im Sande verlaufen bzw. sich in einer Energie-Aufsplitterung auf Familie, Geldverdienen und wissenschaftliche Qualifikation zerstreuen, ist kaum Überraschendes zu Tage zu fördern. Dennoch kann es nicht oft genug wiederholt werden: ein zu geringer Mittelbau, mangelnde Flexibilität in den Laufbahnmustern und eine Bildungs- und Kindergartenpolitik, in der Mütterüber den Stundenplan ihrer Kinder an den Herd gezwungen werden.

Auf dieser Linie bewegt sich auch eine der jüngsten forschungspolitischen Massnahmen, die Herabsetzung der Bewerbungsgrenze für Habilitationsstipendien des Nationalfonds auf 33 Jahre. Dies stellt nicht nur eine zusätzliche Hürde für Akademikerinnen dar, deren Lebenslauf bekanntlich oft einen weniger geraden Verlauf nimmt übrigens nicht zum Schaden ihrer Neugier und wissenschaftlichen Verantwortung. Damit ist zugleich auch das Modell einer stromlinienförmigen «Karriere» zur Norm erhoben, die sich orientiert an der Erfolgsstory etwa jenes berühmten Wissenschaftlers, der mit 10 Jahren seinen ersten Roboter baute und mit 30 Direktor des renommiertesten Roboterforschungsinstituts wurde. Einem Vortrag dieses Wissenschaftlertyps lauschend, beschlich mich kürzlich der Zweifel, ob die Entwicklung der Rest-Person mit jener der technischen Intelligenz Schritt gehalten habe. Auch wenn man von solchen Erfolgskarrieren absieht, verfestigt die genannte Massnahme ein männliches Laufbahnmuster, das sich während der entbehrungsreichen Jahre einer raschen Qualifikation auf eine geldverdienende Ehefrau stützt. Und in dieser Konstellation scheint ein Geschlechtertausch wenig attraktiv zu sein, jedenfalls begegnet er höchst selten.

Fortschreibung einer Ungleichheit

Diese Massnahme passt also schlecht ins Bild einer «verstärkten und besonderen Förderung des weiblichen akademischen Nachwuchses». Aber ist der Fortschreibung einer Ungleichheit der Geschlechter trotz formaler Gleichberechtigung mit formalen Massnahmen überhaupt beizukommen? Nach fast zwei Jahrzehnten der Erfahrungen mit «Frauenförderung», zumindest in einigen europäischen Nachbarländern, zeigt sich immer krasser, dass diese nur eine Minimalie darstellt, um überhaupt etwas in Bewegung zu bringen. Als RŽsumŽ wird dagegen immer häufiger die Einsicht formuliert, dass es viel eher um einen Abbau männlicher Privilegien ginge als um die Förderung von Frauen. Nur dass diese Privilegien in schwer greifbaren Strukturen einer männerbündischen Institution gründen, an die mit formalen Mitteln kaum zu rühren ist. Eingebettet in eine paternalistische nationale Kultur und gestützt durch alte Rituale Anciennitätsprinzip, «Wahl» der Kommissionen durch Vorschlag von oben, nur rudimentäre Mitbestimmung usw. – erweist sich die männliche Herrschaft an den hiesigen Universitäten als besonders resistent.

Der Diskurs der «Frauenförderung» passt dabei durchaus in die Strukturen des bestehenden Paternalismus. Er steht in der Tradition der Rede über die «moralische Verbesserung der Weiber» (Hippel), mit der vor zwei Jahrhunderten die Vorstellung eines entwicklungsbedürftigen weiblichen Geschöpfs konstituiert wurde. Und er weist Ähnlichkeiten zur Entwicklungshilfe-Ideologie auf. Als ob es um die Förderung minderbemittelter Subjekte ginge, anstatt um den Abbau der Strukturen, die den Gegensatzüberhaupt erst ermöglichen, gleichen die Fördermassnahmen jenen «Aspirin actions», mit denen im Nord-Süd-Gegensatz die Symptome der produzierten Ungleichheit gelindert werden sollen.

Frauenförderung als Sondermassnahme?

Die Frauenförderung, verstanden als Sondermassnahme, verfestigt zudem den Sonderstatus von Frauen in der Alma mater. Waren sie als gelehrige Schülerinnen immer schon sehr beliebt, da diese die Lehrer- und Vaterautorität eher stabilisieren, so stören sie, wenn sie anders denn als Töchter in Erscheinung treten, jenes universelle Gesetz der abendländischen Ordnung, nach dem sich symbolische Verkörperung und Realpräsenz gegenseitig ausschliessen: Was die Frauen verkörpern, das können sie gerade nicht besitzen!

Sind in der Mehrheit der Fakultäten der Universität Zürich null oder allenfalls eine oder zwei Professorinnen vertreten, so wird dort, wo die Statistik besser aussieht, eine Haltung spürbar, die aus dem Gefühl, das Soll erfüllt zu haben, resultiert. Die Idee der Frauenförderung als Sondermassnahme hat nämlich regelmässig zur Folge, dass sich bei einer Margeüber fünf Prozent das Blatt wendet und der Norm einer männlichen Genealogie «endlich» wieder Genüge getan werden kann. Insofern nützt die sogenannte Frauenförderung nicht selten einer ideologischen Besitzstandswahrung. Am wenigsten störend scheinen noch Gender-studies-Departments zu sein, sind sie doch – auf Distanz gehalten – Supplemente, die den laufenden Betrieb in Ruhe lassen. Als Appendix darf sich dort kleines Pendant zur Vater-Sohn-Genealogie – eine Mutter-Tochter-Genealogie etablieren. So bleiben die bestehenden Geschlechterverhältnisse unangetastet.

Was die bescheidenen Erfolgsmeldungen hierzulande aber stets verschweigen, ist die Tatsache, dass daran kaum Akademikerinnen aus der Schweiz beteiligt sind, dass ein grosser Teil der Professorinnen aus dem Ausland kommt. Durch diese Konstellation kommt es in Berufungssituationen oft zur Konkurrenz von nationalen und Gender-Interessen und zu unterschwelligen, kaum thematisierbaren Überlagerungen von Ressentiments. Das vorhandene Unbehagen an weiblicher Intellektualität wird dann durch die nationale Wettbewerbssituation der Schweizer Wissenschaft verstärkt. Dass aber zum Beispiel in der Bundesrepublik sich relativ mehr Frauen qualifizieren konnten, ist das Resultat mehrheitlich von der Norm abweichender Laufbahnen.

In einem differenzierten und variablen Feld akademischer Tätigkeit – ausserhalb der erstarrten Disziplinfelder, in interdisziplinären Projekten, oft in befristeten Stellen und in verschiedenen, innovativen Forschungsprojekten und zumeist jenseits des Laufbahnschemas Promotion – Assistenz – Habilitation – Professur – haben sich relativ viele Wissenschaftlerinnen eine Qualifikation und ein Profil erarbeitet, die denen der Mehrheit ihrer männlichen Kollegenüberlegen sind.

Aufbrechen verfestigter Strukturen

Nicht Sondermassnahmen, sondern das Aufbrechen verfestigter und eingefahrener Strukturen sind die wirkungsvollste Form der«Frauenförderung». Wahrscheinlich ahnen das viele Wissenschaftler zu genau, weshalb sie so beharrlich an den etablierten Ritualen festhalten. In einem Land, in dem die Streitkultur nicht gerade erfunden wurde, ist Kritik immer schon suspekt. Frauen aber können in der Wissenschaft nur einen bedeutsamen Ort erlangen, wenn mit der tradierten Ordnung des Wissens gebrochen wird, mit den alten Disziplinen, Gegenstandsbestimmungen und Methoden, mit jenen Strukturen also, die jahrhundertelang für ein aktives «Vergessen» und den Ausschluss weiblicher Subjekte gesorgt haben. Worum es also geht, das ist die Erziehung des männlichen Teils des Menschengeschlechts zur Anerkennung weiblicher Intellektualität, also um nichts weniger als die Norm und die Normalität: die Veränderung der Normen als Möglichkeitsbedingung einer Normalität weiblicher Präsenz in der Universität.


Dr. Sigrid Weigel (sweigel@ds.unizh.ch)ist ordentliche Professorin am Deutschen Seminar der Universität Zürich.


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Last update: 09.07.97