Mit 80 zum Psychiater?

Untersuchungen zeigen, dass viele ältere, psychisch kranke Leute medizinisch nicht immer adäquat behandelt werden. Die Gerontopsychiatrie, eine Teildisziplin der klinischen Psychiatrie, beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit den psychischen Störungen in dieser Lebensphase. Und im Gerontopsychiatriezentrum Hegibach in Zürich besteht seit gut zwei Jahren ein zentraler Ort für die Beratung, Behandlung und Begleitforschung psychisch kranker SeniorInnen.

VON URSULA SCHREITER GRASSER UND MARION STEINER

 
Das Gerontopsychiatrische Zentrum am Hegibachplatz in Zürich.

Klagen älterer Menschen über ein nachlassendes Gedächtnis, über mangelnde Lebensfreude, Lustlosigkeit und Desinteresse stossen nicht immer auf Verständnis. Nach wie vor wird unser Bild vom älteren Menschen von Altersstereotypien bestimmt, wird Alter schnell mit irreversiblem Abbau gleichgesetzt.

Der Schritt, zum Psychiater zu gehen, ist für viele ältere Menschen mit Ängsten und Hemmungen verbunden. Selbst sie finden oft, es lohne sich doch nicht mehr, sich mit den Sorgen einer alten Frau, eines alten Mannes abzugeben. Zudem will man nicht als «verrückt» gelten, oder es werden Befürchtungen wach, nicht mehr selbst bestimmen zu können, nicht mehr selbständig zu Hause leben zu können oder zu dürfen.

Von seiten der Psychiater bestehen ebenso manche Hürden, wenn es darum geht, SeniorInnen in Behandlung zu nehmen: Die meisten niedergelassenen Psychiater sind psychotherapeutisch tätig und arbeiten mit Menschen, die jünger sind als 65 Jahre. Hirnorganisch kranke und depressive Betagte werden in der Regel von Allgemeinärzten und Internisten behandelt. Die Mehrzahl der Hausärzte hat gute psychodiagnostische Kenntnisse und Erfahrung im Einsatz von Psychopharmaka.

Dennoch belegen Studien, dass viele ältere psychisch kranke Menschen nicht ausreichend oder adäquat medikamentös behandelt werden: Gründe dafür mögen in einer skeptischen Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber psychopharmakologischer Behandlung liegen, aber auch an einem Mangel an Wissen und Kenntnissen mancher Ärzte. Oft übersteigt es auch die Möglichkeiten des Hausarztes, die komplexe Diagnostik selbst durchzuführen oder ergänzend eine intensive Betreuung oder begleitende Psychotherapie anzubieten.

Dies unterstreicht die Notwendigkeit der Gerontopsychiatrie als Spezialgebiet der Psychiatrie.

Was ist Gerontopsychiatrie?

Gegenstand der Gerontopsychiatrie sind sämtliche im höheren Lebensalter auftretenden psychischen Störungen. Sie ist damit eine Teildisziplin der klinischen Psychiatrie und benutzt die gleichen diagnostischen und therapeutischen Methoden. Dabei bestehen enge Beziehungen zur Gerontologie und zur Geriatrie als internistisch orientierter Altersmedizin.

Eine feste, biologisch markierbare Altersgrenze, wann man Anspruch hat darauf, sich an «Altersspezialisten» zu wenden, gibt es nicht. Die Pensionierung als wichtiger Einschnitt in der Lebenssituation eines erwachsenen Menschen hat sich aber als Altersgrenze in der Gerontopsychiatrie etabliert.

Dies bedeutet, dass psychische Erkrankungen jenseits des 60. bis 65. Lebensjahres das Tätigkeitsfeld des Gerontopsychiaters darstellen. Behandelt werden somit in der Regel zum einen Menschen, die im höheren Alter erstmals psychisch erkranken, und zum anderen Personen, die in ihrem Leben bereits seelische Probleme hatten und im Alter erneut in eine Krise geraten.

«Etwas stimmt nicht mehr mit meinem Kopf: Ich kann mir Namen nicht mehr so gut merken wie früher, und wenn ich etwas lese, habe ich Mühe, mich daran zu erinnern.» – «Ich bin furchtbar vergesslich geworden: Ewig bin ich auf der Suche nach meinen Schlüsseln oder der Brille. Man könnte meinen, jemand versteckt die Sachen mit Absicht.» – «Manchmal gehe ich in ein anderes Zimmer oder auch zum Einkaufen – und plötzlich weiss ich nicht mehr, was ich eigentlich wollte.»

Als Versorgungs- und Forschungsgebiet hat sich die Gerontopsychiatrie in den letzten Jahrzehnten international etabliert. Wegweisend für die Schweiz war das Lausanner Modell mit der Abtrennung der Alterspsychiatrie von der Erwachsenenpsychiatrie in den Siebzigerjahren.

Parallele Entwicklungen fanden auch in anderen europäischen Staaten statt. Sie führten unter anderem zur Bildung einer europäischen Arbeitsgemeinschaft für Gerontopsychiatrie, der Entwicklung eines standardisierten Dokumentationssystems, dem Aufbau von ambulanten und teilstationären Versorgungseinrichtungen und der Förderung von Forschung und Lehre. Emil Kraepelins Ausspruch «die Alterspsychiatrie ist das dunkelste Kapitel der Psychiatrie» hat heute an Gültigkeit verloren – nicht zuletzt dank einer Fülle von Wissen aus Grundlagenforschung und klinischer Forschung.

Psychiatrische Erkrankungen im Alter

Insgesamt dürften etwa 25 bis 30 Prozent der Personen im Alter von über 65 Jahren an psychischen Störungen verschiedener Schweregrade leiden. Die beiden häufigsten psychiatrischen Erkrankungen höheren Lebensalters sind Demenzen und Depressionen.

Die Häufigkeit von Demenzen verdoppelt sich nach dem 65. Lebensjahr etwa alle fünf Jahre.

Eine solche konnte für andere gerontopsychiatrische Erkrankungen, insbesondere die Depressionen, nicht nachgewiesen werden. Dennoch rechnet man bei ungefähr 20 Prozent der älteren Bevölkerung mit zeitweiligen depressiven Verstimmungen.

Hinzuweisen ist auf ein im Alter erhöhtes Suizidrisiko (mehr als 30 Prozent aller Suizide werden von Personen, die älter als 60 Jahre sind, gemacht), und besonders hoch ist die Zahl vollendeter Suizide bei den Männern. Zu beachten ist aber auch der sogenannte «stille Suizid» durch Missachtung von Diätvorschriften, Nichteinnahme von Medikamenten, Suchtverhalten oder Verweigerung von Nahrung.

Die dritthäufigste Krankheitsgruppe im Alter sind primäre Angsterkrankungen, wobei Angst als Symptom – etwa zusammen mit einer Depression – viel häufiger ist. Wahnerkrankungen sind Erkrankungen, bei denen objektiv falsche, jedoch unkorrigierbare Überzeugungen und Wahrnehmungen bestehen. Sie sind im Alter relativ häufig, genaue Zahlen fehlen aber. Vereinsamung und soziale Isolation, Schwerhörigkeit, Sehbehinderung und kognitive Beeinträchtigungen begünstigen den Rückzug in eine eigene Welt.

Sucht, Abhängigkeit von Medikamenten und von Alkohol spielt im höheren Alter eine geringere Rolle als in jüngeren Jahren, die Problematik wird aber vor allem in Institutionen häufig unterschätzt. Die Bedingungen der dritten Lebensphase können auf Menschen mit Persönlichkeitsstörungen manchmal entlas-tend wirken, oft aber auch erneut Unruhe und Krisen erzeugen.

Grundsätzlich können im höheren Lebensalter alle psychischen Erkrankungen auftreten, die auch in jüngeren Lebensphasen vorkommen. Lediglich die Demenzen nehmen an Häufigkeit mit dem Alter aber eindeutig zu.

Vergesslichkeit und Demenzen

Das Gedächtnis wird mit zunehmendem Alter schlechter. Dennoch leiden nur etwa 14 Prozent der 70-jährigen an einer ernsthaften Beeinträchtigung ihrer geistigen Leistungsfähigkeit (Demenz), bei den 90-jährigen ist allerdings etwa die Hälfte betroffen.

Wenn ein älterer Mensch über sein schlechtes Gedächtnis klagt, lautet daher die erste Frage: Handelt es sich um eine ganz normale Leistungseinbusse im Alter – zum Beispiel langsameres Lernen, schlechteres Namensgedächtnis usw. –, oder sind Anzeichen für eine krankhafte hirnorganische Veränderung zu erkennen? Es stellt sich dann die Frage nach möglichen Ursachen und nach dem Ausmass der Hirnleistungsstörung.

Die uns heute zur Verfügung stehenden diagnostischen Möglichkeiten umfassen eine klinische neuropsychiatrische und neuropsychologische Untersuchung sowie eine Reihe von Zusatzabklärungen wie Laboruntersuchungen und neue bildgebende Verfahren.

Ein dementielles Syndrom kann verschiedenste Ursachen, auch reversible, haben. Daher ist eine differenzierte Abklärung von grösster Wichtigkeit. Wenn beispielsweise Stoffwechselstörungen, Entzündungen, ein Flüssigkeitsmangel oder eine Medikamentenüberdosierung festgestellt und diese adäquat behandelt werden, dann können oft eindrückliche Gedächtnisstörungen und Verwirrtheitszustände wieder vollkommen verschwinden.

Die häufigsten Ursachen eines dementiellen Syndroms sind – neben vaskulären Demenzen in Folge Störungen der Hirndurchblutung – vor allem degenerative Hirnerkrankungen, an erster Stelle die Alzheimersche Krankheit. Erst die genaue Erfassung der kognitiven Fähigkeiten, der Affekte, des Verhaltens und der Motorik ermöglichen eine diagnostische Klärung («Demenzprofil») und eine gezielte Behandlung.

Neue, nebenwirkungsärmere Medikamente können den Abbau der Gedächtnisleistungen verzögern. Die Behandlung psychischer Begleiterscheinungen wie Depressionen oder Wahnvorstellungen, Aggressivität und Tag-Nacht-Umkehr trägt zur Verbesserung der Befindlichkeit der Kranken bei. Zusammen mit milieutherapeutischen Massnahmen (adäquater Umgang, Anpassung des Umfeldes) und einer spielerischen Aktivierung (Bewegungs-, Musiktherapie und ähnliches) kann so die Lebensqualität dieser Patienten deutlich verbessert werden.

Die meisten Kranken werden zu Hause von ihren Angehörigen meist über lange Zeit aufopferungsvoll betreut, oft bis an die Grenze eigener körperlicher und seelischer Belastbarkeit, bis zu Erschöpfung und Depression. Gerade im Anfangsstadium einer Demenz ist es für sie hilfreich zu wissen, welche Fähigkeiten objektiv beeinträchtigt sind und in welchen Bereichen die Person am besten ansprechbar ist.

Generell brauchen Angehörige professionelle Information, Beratung, Unterstützung und konkrete Entlastung sowie Hilfe bei der Zukunftsplanung. Eine wichtige Rolle kommt hier auch der Alzheimer-Vereinigung als Selbsthilfeorganisation betroffener Angehöriger zu.

Depressionen

Die Beziehungen zwischen Demenz und Depression sind komplex: Nicht selten zeigen Patientinnen und Patienten sowohl Anzeichen einer Depression als auch Konzentrations- und Denkstörungen. Manchmal lässt sich erst nach erfolgreicher Behandlung der Depression klären, ob die kognitiven Störungen Ausdruck der depressiven Erkrankung waren oder ob eine beginnende Demenz von einer depressiven Verstimmung begleitet wurde.

Älterwerden bringt Veränderungen der Lebensumstände und der Befindlichkeit mit sich, die individuell sehr unterschiedlich erlebt werden. In der Regel ist die Lebenszufriedenheit älterer Menschen nach allen bisherigen Untersuchungen allgemein sehr hoch.

«Seit dem Tod meines Mannes habe ich gar keine Lebensfreude mehr. Alles, was mich früher interessiert hat, kommt mir jetzt irgendwie sinnlos vor.» – «Immer habe ich diesen Druck im Kopf und auf dem Herzen. Und angeblich finden die Ärzte nicht, woher das kommt.» – «Wozu muss ich denn so alt werden? Man fällt doch nur zur Last.»

Die neue Lebensphase bringt für viele mehr Freiheiten in der Freizeitgestaltung, ein entspannteres Verhältnis in der Partnerschaft, grosselterliche Freuden. Verluste und Einschränkungen werden nach und nach verarbeitet. Zunehmende Belastungen und gesundheitliche Probleme bei mangelndem sozialem Rückhalt können andererseits zu tiefgreifenden Krisen (psychoreaktiven Störungen) führen, aus denen die Person alleine nicht mehr herausfindet. Ebenso problematisch kann es werden, wenn Konflikte mit dem Partner oder mit den Kindern im höheren Alter eskalieren oder belastende Lebensereignisse in der Erinnerung nochmals sehr lebendig werden.

Leider werden behandlungsbedürftige Depressionen bei SeniorInnen leichter übersehen. Sie haben ein etwas anderes Erscheinungsbild als bei jüngeren PatientInnen (weniger ausgeprägte Schuldgefühle, mehr Somatisierungen, «leisere» Symptome, öfters begleitet von Unruhe und Angst), und depressive Symptome wie Lustlosigkeit, Konzentrationsstörungen und sozialer Rückzug werden oft fälschlicherweise dem Alter zugeschrieben. Folglich werden sie dann auch nicht adäquat angegangen, trotz der erfolgversprechenden medikamentösen und psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten.

Multimorbidität

Mit zunehmendem Alter steigt auch die Wahrscheinlichkeit, gleichzeitig an mehreren Krankheiten und Behinderungen zu leiden, die sogenannte Multimorbidität. Meist sind diese Krankheiten chronisch und beeinflussen sich wechselseitig. Manchmal stellt erst der Gerontopsychiater bei der Abklärung fest, dass die Patientin, der Patient Medikamente einnimmt, die von verschiedenen Ärzten für das gleiche Leiden verordnet wurden, die über- oder unterdosiert sind, die depressions- oder wahnfördernde Nebenwirkungen und ungünstige Interaktionen haben. Diese kumulative Belastung stellt zudem hohe Anforderungen an die seelischen Bewältigungsmöglichkeiten des älteren Menschen.

Die demographischen Veränderungen mit einer Zunahme der älteren Bevölkerung, vor allem der hochbetagten über 85-Jährigen führen zu einer Zunahme von einerseits noch voll leistungsfähigen «jungen Alten», aber auch zu einer Zunahme der kleineren Gruppe multimorbider psychiatrisch kranker Hochbetagter.

Heute werden vermehrt psychisch kranke Betagte direkt von zu Hause in ein Pflegeheim eingewiesen. Dadurch werden Chancen verpasst für Abklärung und Behandlung, eine adäquate Plazierung oder Verzögerung beziehungsweise sogar Vermeidung eines Heimeintritts. Dies ist ethisch nicht vertretbar, ökonomisch nicht sinnvoll und bedeutet darüber hinaus eine erhebliche Belastung auch für die Heime.

Das Gerontopsychiatrische Zentrum

Diese Entwicklungen haben den Kanton Zürich und die Gesundheitsdirektion sowie die Psychiatrische Universitätsklinik dazu veranlasst, in Zürich ein alterspsychiatrisches Zentrum, das Gerontopsychiatrische Zentrum Hegibach (GPZ), zu errichten. Es wurde am 1. Juni 1996 eröffnet.

Das GPZ, am Hegibachplatz und damit gemeindenah und mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar, hat unter einem Dach eine fast komplette Versorgungslinie: Je nach Schweregrad der psychiatrischen Erkrankung ist eine ambulante, teilstationäre oder stationäre Behandlung erforderlich.

Am Anfang einer gerontopsychiatrischen Behandlung steht das «gerontopsychiatrische Assessment». Die Bedingungen, die bei einer Person in fortgeschrittenem Alter zu psychischen Beeinträchtigungen führen können, sind, wie wir gesehen haben, komplex. Weil psychiatrische, medizinische, soziale und psychologische Probleme oft Hand in Hand gehen, verlangt die Arbeit mit älteren Menschen sowohl spezielles Fachwissen als auch eine ganzheitliche Sichtweise. Im GPZ Hegibach hat daher die Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen und Abteilungen einen hohen Stellenwert, wobei die Koordination in der Hand der Ärztin, des Arztes liegt.

Ob das seelische Leiden in Zusammenhang steht mit Partnerschaftproblemen oder Einsamkeit, mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen, mit der Wohnsituation oder finanziellen Problemen, das GPZ bietet die Möglichkeit, die Problematik mit engagierten Fachleuten aus Psychiatrie, Medizin, Psychologie, Pflege und Sozialdienst zu klären und Behandlung und Hilfe zu erhalten. Diagnostik, Beratung, Medikamente, Psychotherapie oder Förderung der Mobilität und praktischer Fähigkeiten stehen dabei im Vordergrund.

Die meisten psychisch kranken Betagten werden von ihren Angehörigen betreut. Dies bringt enorme psychische, physische und zeitliche Belastungen mit sich. Daher sind – vor allem bei Menschen, die an einer Demenz leiden – Information, Beratung und Unterstützung der Angehörigen unerlässlich.

Entscheidend ist aber auch die Zusammenarbeit mit externen, im Altersbereich Tätigen. Dazu gehört wesentlich eine gute Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten, vor allem den Hausärzten, die ja die meisten psychisch kranken älteren Menschen behandeln. Dazu gehört ebenso die Zusammenarbeit mit den ambulanten Diensten Spitex und Pro Senectute wie auch mit den Langzeitinstitutionen, den Alters- und Pflegeheimen. Der enge Austausch ist essentiell für eine bedarfsgerechte Nachsorge und Rückfallprophylaxe und damit eine langfristig gute Betreuung der Patienten.

Neben den Aufgaben der Patientenversorgung hat das GPZ als universitäre Institution auch Aufgaben von Lehre, Weiterbildung und Forschung. Besondere Schwerpunkte liegen in der Ausbildung von Medizinstudenten wie auch in der Weiterbildung für Ärzte und Pflegende.

Die Begleitforschung hat einen wichtigen Stellenwert zum Nachweis der Wirksamkeit eines gerontopsychiatrischen Zentrums: Werden die psychisch kranken alten Menschen erreicht, werden sie adäquat abgeklärt, behandelt und rehabilitiert? Was braucht es an Unterstützung, um möglichst lange zu Hause leben zu können, wie dies von den meisten älteren Menschen gewünscht wird? Wie können Heime so unterstützt werden, dass sich dort ältere psychisch kranke Menschen geborgen fühlen? Mit welchen Massnahmen gelingt es, die im Alter erhöhte Suizidrate zu senken? Dies eine Auswahl von wichtigen Forschungsfragen im Versorgungsbereich.

Die Grundlagenforschung, insbesondere die genetische Forschung und die Hirnforschung, hat der Alterspsychiatrie bedeutende Impulse gegeben wie auch umgekehrt. Das Wissen über Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten von alterspsychiatrischen Erkrankungen hat in den letzten Jahren rasant zugenommen. Wir wissen heute aber auch mehr über psychodynamische Zusammenhänge und erleben – im Gespräch mit PatientInnen und Angehörigen – die Notwendigkeit und Wirksamkeit psychotherapeutischer Interventionen.

Im GPZ beträgt das Durchschnittsalter der Patienten derzeit 79 Jahre. Die im Titel gestellte Frage «Mit 80 zum Psychiater?» kann daher uneingeschränkt bejaht werden.

Das biologische Alter darf kein Grund für Diskriminierung, für unzureichende Abklärung und Behandlung sein. Sonst besteht – in Zeiten knapper finanzieller Ressourcen – die Gefahr der Vernachlässigung einer immer grösser werdenden Gruppe der Bevölkerung. Es gilt, sich der Tatsache zu stellen, dass im nächsten Jahrhundert etwa 20 Prozent der Bevölkerung älter als 65 Jahre sind und ein Teil von ihnen psychiatrischer Hilfe bedarf.


LITERATUR

Klaus Ernst: Psychiatrische Versorgung heute. Konzepte, Konflikte, Konsequenzen. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1998.

Paul B. von Baltes, Karl U. Mayer (Hg.): Die Berliner Altersstudie. Akademie Verlag, Berlin 1996.


Dr. Ursula Schreiter Gasser ist Lehrbeauftragte der Medizinischen Fakultät und Chefärztin des Geronotopsychiatrischen Zentrums Hegibach (GPZ). Dr. phil. Marion Steiner arbeitet als Psychologin im GPZ.


unipressedienstunimagazin Nr. 3/97


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Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
Last update: 17.04.99