Magazin der Universität Zürich Nr. 1/97

Vom Wissen zum Wandel

VON HEINI RINGGER

Wie die Erinnerung vom Vergessen, lebt das Wissen vom Unwissen. Keine Theorie, keine Entdeckung, keine Innovation ohne neues Wissen, das nicht dem grossen Ozean des Nichtwissens abgerungen worden ist. Alte Fragen werden neu gestellt, neue Fragen harren der Beantwortung. Das Frage- und Antwort-Spiel hat staunenswerte Dimensionen angenommen. Wie nie zuvor boomt dabei die Wissensgewinnung, Wissensverwertung und Wissenvermittlung, besonders des wissenschaftlich gewonnenen Wissens. Neue regionale und globale Wissenskulturen entstehen, alte verschwinden, werden verdrängt, vergessen, bleiben bestenfalls der Erinnerung vertraut.

Da gilt es alte Fragen neu zu stellen: Welche Art von Wissen wollen und brauchen wir eigentlich? Und wozu? Und: Welche Art von Wissen macht das Leben überhaupt lebenswert, stiftet vielleicht sogar Sinn?

Vom Wissen und einer seltsamen Beziehung zum Nichtwissen leben die Hochschulen. In der Wissensgewinnung, Wissensvermittlung, weniger in der Wissensverwertung halten sie eine Monopolstellung inne. Doch diese ist in Frage gestellt. Seit die Ressource Wissen zu einem der wichtigsten Produktionsfaktoren avanciert ist, machen andere gesellschaftliche Institutionen den Hochschulen Konkurrenz. Es erstaunt deshalb nicht, dass das erweiterte System der Wissensproduktion (H. Nowotny) auf das noch disziplinär organisierte Wissensproduktionssystem Hochschule zurückwirkt und es herausfordert. Es verwundert auch nicht, dass in der Wissensvermittlung den Hochschulen Konkurrenz zum Beispiel durch Institutionen erwächst, die neue Informations- und Kommunikationstechnologien schnell zu nutzen vermögen. Es verblüfft noch weniger, dass die Wissensverwertung vor allem in den Händen der Wirtschaft und Industrie liegt.

Angesichts des rasanten gesellschaftlichen Wandels kann man bei Erstaunen, Verwunderung, Verblüffung nicht stehen bleiben. Die Hochschulen stehen vor der Herausforderung, den Wandel selber anzunehmen, zu praktizieren und gestaltend am sozialen Wandlungsprozess mitzuwirken und mitzubestimmen, indem sie ihr Wissen einbringen und in die Praxis umsetzen.

Der Wandel der Hochschulen selbst steht am Anfang dieses Magazins. Disziplinarität, Interdisziplinarität und Transdiszplinarität sind die Stichworte. Disziplinaritäten sind die Formen, in denen sich das wissenschaftliche Wissen bildet, und das Medium, in dem sich das Lernen bewegt (J. Mittelstrass). Das gilt auch für die Interdisziplinarität. Doch beide genügen heute nicht mehr. Transdisziplinarität ist gefragt, die Probleme disziplinenunabhängig stellt und disziplinenüberschreitend löst. Noch wenig Verlässliches lässt sich von der virtuellen Universität berichten. Sie zeichnet sich zwar in ihren Grundrissen schattenhaft ab. Nur: Das über Internet abrufbare weltweit in Datenbanken gespeicherte «Weltwissen» ist bezüglich Wissensqualität noch kaum zu durchschauen. Handelt es sich um Wissen oder eher um Information? Information ist noch nicht Wissen. Erst in den Köpfen der Menschen werden Informationen kraft der Analyse und Synthese sowie kraft der Sensibilität für Paradoxien und Zusammenhänge zu Wissen.

Die Universität Zürich ist für diesen Wandel bestens vorbereitet. Das Reformprojekt «Uni2000» legt die Basis zur Erneuerung und zur Neuorientierung der Universität. Meilensteine auf dem Weg ins nächste Jahrtausend sind das neue Universitätsgesetz, die neue Universitätsordnung und das neue Leitbild. Davon profitieren die Universität als Ganzes und die verschiedenen Universitätskulturen, die gleichsam als «Zukunftswerkstätten» ihrer sozialen Herausforderung gerecht werden können. Diese Entwicklung kann sich künftig auch positiv auf die Aussenbeziehungen der Universität auswirken: auf die Finanzierung und auf die Vertrauensbildung durch offenständige Kommunikation. Denn Wissenschaft, Hochschulen und Gesellschaft werden in Zukunft noch intensiver in einem Wissensverbund miteinander verkehren.

Das vorliegende Magazin lebt nicht zuletzt von den Collagen der Londoner Illustratorin Nancy Tolford. Sie hat das zufällige und künstlich provozierte Zusammentreffen verschiedener, auch wesensfremder Wissenswelten kunstvoll in Collagen umgesetzt. Inwieweit wesensfremde Wissenswelten einander begegnen, hängt auch künftig von der Kunst ab, wesentliche, uralte Fragen immer wieder neu zu stellen: nach dem Wie und Warum des Lebens. In traditionellen Kulturen schöpften die Menschen ihre Antworten aus sich selbst. Die Erinnerung an dieses Wissensreservoir vermag auch heute noch das Wesen der Dinge zu berühren.


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unipressedienst – Pressestelle der Universität Zürich
Nicolas Jene (
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Last update: 09.07.97